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Landeshauptstadt: Klimaanlage? Kein Problem.

Sie ist das reinste Combino-Gegenteil, die gestern vorgestellte Alstom-Tram, und das ist ihre Stärke

Sie ist das reinste Combino-Gegenteil, die gestern vorgestellte Alstom-Tram, und das ist ihre Stärke Von Guido Berg „Es ist mir egal“, antwortete Manfred Kienitz auf die Frage, welche Tram er am liebsten steuert. Das Prinzip ist immer dasselbe, beschleunigen oder anhalten. Er hat sie alle gefahren, die Combino – die 100-prozentige Niederflurbahn, die im Potsdamer Dauerbetrieb konstruktive Schwächen zeigte – und auch die drei anderen Bahnen, die der Potsdamer Verkehrsbetrieb ViP in diesem Jahr einem Test unterzieht. Potsdam soll 19 neue Schienenfahrzeuge bekommen und bislang ist nur eines sicher, es werden keine Combinos sein. Gestern ging die „NGT8D“ des Herstellers Alstom aus Salzgitter (Niedersachsen) mit Vertretern des Behindertenbeirates an Bord auf die Potsdamer Strecke. Vorn in der gekühlten Fahrerkabine saß wieder Manfred Kienitz. Sein Befund: „Leiser als die Combino und die Variobahn von Stadler ist sie schon, aber lauter als die von Bombardier aus München“. Zudem: „Das Kurvenverhalten ist besser als das der Combino.“ Allerdings hat die Combino einen Tempomat, „so etwas haben die anderen nicht drin“. Der Clou: In der Zeppelinstraße beispielsweise „gehe ich hoch auf 50 Sachen und lasse sie dann treiben“ – der Tempomat hält automatisch das Tempo, ob es bergauf- oder ab geht. Ohne Tempomat muss der Fahrer per Hand regulieren, „Gas“ geben oder bremsen, und das spürt der Fahrgast, denn es ruckelt dann ein wenig. Tram-Fahrer Kienitz hat noch einen Wunsch: „Die Bahn wird 30 Jahre fahren, dann gehört eine Klimaanlage bei solchem Wetter zum guten Ton“. Die gestrige Testbahn hat keine Klimaanlage für die Fahrgäste. Sie ist eine Leihgabe der Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB), die 72 Alstom-Bahnen nach eigenem Bekunden mit größter Zufriedenheit im Einsatz haben. „Wir sind mit der Flotte 30 Millionen Kilometer gefahren“, erklärt MVB–Geschäftsführer Klaus Regener. Die älteste „NGT 8D“ von 1994 habe allein 700000 Kilometer auf dem Buckel. Der Einsatzkoeffizient liege bei 99 Prozent, es habe bislang überhaupt nur einen Totalausfall gegeben, „nach einem Crash einer der Bahnen mit einem Bagger“, so Regener. „Klimaanlage? Kein Problem“, informiert Alstom-Pressesprecherin Sabine Groß auf Nachfrage und ihr Kollege Hans-Jürgen Rother ergänzt, auch ein Tempomat könne eingebaut werden, wenn der Kunde dies wünsche. Überhaupt seien den Kunden, die es bezahlen können, kaum Grenzen für Extrawünsche gesetzt, „die Grenzen der Physik ausgenommen“, so Rother. Die Alstom-Bahn würde mit ihrer Maggi-Bemalung (Aufschrift: „Die Würze im Leben“) und ihren uneleganten Scheinwerfern nach Bekunden gestriger Fahrgäste nicht gerade einen Schönheitspreis gewinnen. Doch es ist eine 70-prozentige Niederflurbahn (die Combino ist eine 100-prozentige), sie hat die für Fahrkomfort und Verschleißarmut gelobte klassischen Drehfahrgestelle (die Combino hat Einzelradfahrgestelle) und sie besteht aus eine Stahl-Leichtbaukonstruktion im Gegensatz zur Combino mit ihrer Aluminium-Konstruktion. Dazu ViP-Geschäftsführer Martin Weiss: „Sie hat die Kriterien erfüllt“, die Kriterien, die eine Expertenkommission, zu der auch Combino-Kritiker Dieter Doege gehört, im April dieses Jahres für die neuen Potsdamer Bahnen aufstellte. Eine Vorentscheidung sei noch nicht getroffen, bei der Alstom-Bahn „gehen ein paar Dinge jedoch in die richtige Richtung“. Zur Klimaanlage für die Fahrgäste sagte Weiss: „Haben wollen wir sie schon, aber es ist eine Frage des Preises“. Rollstuhlfahrer Karl-Heinz Keßler resümierte, „diese Bahn gefällt mir von den drei bislang getestet am Besten“, allerdings werde er den Combinos nachtrauern. Diese sind als 100-prozentige Niederflurbahn durchgehend tiefergelegt, während die Alstom, um Platz für das Drehgestell zu schaffen, nur eine 70-prozentige ist. Der unschöne Effekt für Behinderte: Es gibt in der Bahn eine Stufe vom niedrigen zum höherliegenden Bereich. Heidi Schulze ist blind, dennoch testet sie den Ein- und Ausstieg als auch diese Stufe im Wageninnern. Mit ihren Blindenstock tastet sie den Wagenboden ab, bis sie an die Kante stößt. Dann lotet sie die Waagerechte aus: „Ganz schön hoch“, sagt sie und überwindet die Barriere ohne große Mühe. „Wenn man es weiß, ist es kein Problem“, findet sie. Freilich kann sie eine Combino- und eine Tatrabahn am Geräusch unterscheiden. Doch für die neue Tram schlägt sie ein äußeres Merkzeichen vor, etwas zum Hören oder Tasten, damit sie an der Haltestelle erkennt, ob vor ihr eine Combino oder beispielsweise eine Alstom inklusive Stufe im Wageninnern steht.

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