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Landeshauptstadt: Liebhaber weicher Rundungen

Zu Besuch bei Oscar Niemeyer, dem Architekten von Brasilia und dem Bad auf dem Brauhausberg

Zu Besuch bei Oscar Niemeyer, dem Architekten von Brasilia und dem Bad auf dem Brauhausberg Von Frauke Niemeyer, Rio de janeiro Als er in den Neunzigern das Museum für Zeitgenössische Kunst bei Rio entwarf, hat man zu ihm gesagt: „Senhor Oscar, es wird ein Museum. Wir wollen da Bilder aufhängen. Können Sie bitte nicht alle Wände rund machen?“ Oscar Niemeyers Museum ist eines der schönsten der Welt geworden. Es thront auf einem Felsen, es blickt hinüber zum Zuckerhut, und es ist rund wie eine Suppenschüssel. Innen bietet ein eckiger Kern genug Fläche für die Gemälde. Nein, es ist Niemeyer nicht egal, ob seine Bauwerke ihren Zweck erfüllen, auch wenn das seine Kritiker behaupten. Die ersten Kritiker, die das sagten, sind seit 30 Jahren tot. Oscar Niemeyer, 97 Jahre alt, baut immer noch in Bögen. „Wir informieren uns über den Ort für das Bauwerk, das Klima, aber die Technik löst alle Probleme. Ich habe für Frankreich, Italien oder Algerien entworfen. Meine Architektur habe ich nie angepasst. Es ist immer die gleiche Suche nach der anderen Gestalt, es ist Erfindung.“ Von seiner Büroetage aus sieht Niemeyer die Atlantikwellen an die Copacabana schlagen. Das hat ihn immer inspiriert – die weichen Formen der Natur seines Landes und die weichen Rundungen der Frauenkörper. Als würde Niemeyer die Sinnlichkeit Brasiliens einfach in Beton gießen. „Du musst ihn bitten, dass er Dir etwas zeichnet“, sagen einem die brasilianischen Freunde und haben dabei so ein Glitzern in den Augen. Oscar Niemeyer wollte sich nie beeinflussen lassen von den Büchern, die über ihn geschrieben wurden, und die ungelesen im Regal stehen. Als die europäische Architektur der Moderne den strengen, rechten Winkel feierte, hat er sich in die Kurve verliebt. Als das Bauhaus nur für Funktion und Produktion bauen wollte, hat Niemeyer Beton geformt, als wolle er tanzen. „Ich glaube, dass er genau um diese Leichtigkeit beneidet wird“, sagt der deutsche Architekturkritiker Wolfgang Kil. „Er hat die Moderne um eine ungeheure Formfreiheit bereichert.“ Nicht immer zur Begeisterung seiner Auftraggeber. Eine Kirche in Pampulha geriet ihm so ausladend und schwungvoll, dass die Geistlichkeit sich jahrelang weigerte sie zu weihen. Sein Weltruhm jedoch gründet sich darauf, dass Oscar Niemeyer eine ganze Stadt entworfen hat: Brasília, eine neue Hauptstadt mitten aus dem Nichts der brasilianischen Steppe gestampft. Winters umgeben von öder Trockenheit, im Sommer vom Sumpf. Die neue Stadt sollte im Wirtschaftswachstum der fünfziger Jahre Brasiliens Stellung als Weltmacht der Zukunft untermauern. So steht es auf der Landesflagge: „ordem e progresso“ – Ordnung und Fortschritt. In dieser Erwartung rief der damalige Präsident Juscelino Kubitschek seinen Freund Niemeyer an und sagte: „Wir haben vier Jahre Zeit. Bau uns eine neue Stadt!“ Niemeyer erinnert sich. „Auf der Baustelle in Brasília herrschte großer Enthusiasmus. Als wir mit dem Auto dorthin fuhren, haben wir Laster getroffen voller Bauarbeiter. Sie kamen aus dem ganzen Land. Sie dachten, dass sie in Brasília bessere Bedingungen finden würden, zum Arbeiten und zum Leben.“ Es kamen 40000 und bauten Tag und Nacht. Manche von ihnen hat der Architekt selbst angeheuert, zum Beispiel den Torwart der Fußballmannschaft von Botafogo. „Er brauchte Geld“, sagt Niemeyer, lächelt verschmitzt und kontert: „Ich hatte auch einen Journalisten eingestellt! Es gab einige Leute auf der Baustelle, die absolut nichts mit Architektur zu tun hatten. Aber sie waren klug, das war wichtig. Und wir hatten Spaß zusammen.“ Brasília ist die Vision dessen geworden, was man in den Fünfziger Jahren für die Zukunft hielt. Das alltägliche Leben war in städtischen Sektoren geordnet: Ein Viertel zum Wohnen, eines zum Arbeiten, eines zum Einkaufen. Zerteilt durch Straßen breit wie Autobahnen. Zu Fuß sollte in der Zukunft Brasílias niemand mehr gehen müssen. Selbst der Friedhof war befahrbar. Niemeyer baute die Wohnhäuser identisch, der Taxifahrer sollte genauso leben wie sein Präsident. Doch in die Wohnviertel zog nur die Elite ein. Die Arbeiter und die Armen bauten sich ihre Hütten außerhalb der Stadt. Man könnte es auch Slum nennen. Die Regierungsbauten ragen heute noch immer stolz und ästhetisch in den Himmel, doch das Zentrum der Stadt wirkt leblos, alles ist zu groß geraten. „Man hat Probleme mit dem Verkehr, und es gibt zuviel Armut“, sagt Niemeyer über Brasília. „Jede Stadt hat solche Probleme, überall ist das so.“ Mehr sagt er heute nicht mehr dazu. Doch es muss ihn, den überzeugten Kommunisten, schmerzen, die Ungleichheit zu sehen. Von seiner politischen Meinung ist er nie abgerückt. Nicht als man immer wieder sein Büro durchsuchte, und auch nicht, als ihm Architekturpreise wieder aberkannt wurden. 1964 übernahm die Militärdiktatur die Macht, drei Jahre später ging Niemeyer ins Exil nach Paris. „In Europa habe ich so viel Hilfsbereitschaft erfahren! Ein Erlass hat es mir erlaubt, wie ein französischer Architekt zu arbeiten.“ Aus dieser Zeit stammen seine bekanntesten europäischen Bauten: Der Sitz des italienischen Verlags Mondadori in Mailand, die Zentrale der Kommunistischen Partei Frankreichs in Paris. Dort lernte er auch Jean Paul Sartre kennen. „Die Welt von Sartre ist eine Welt, wo man geboren wird und stirbt und es gibt keine Lösung.“ In ihrer Lebenseinstellung waren sie sich nicht sehr ähnlich, Sartre und Niemeyer, aber beide hatten diesen Hang zum Exzessiven. Oscar Niemeyers Memoiren, die er formuliert hat, als würde er mit dem Leser bei einer Zigarre zusammen sitzen, enthalten Sätze, die immer wieder auftauchen. Einer lautet „Die Welt ist ungerecht.“ Ein anderer „Wo sind hier die Frauen?“ Der Architekt reiste auch später noch gern nach Paris, oft mit dem Schiff, weil er, der seine Statiker zu den kühnsten Konstruktion zwingt, der Flugtechnik misstraut. „Ich habe immer mal einen Freund mit nach Europa genommen, wenn ich dort gearbeitet hab. Jemanden, der sich das nicht leisten konnte und nie gedacht hätte, jemals Paris zu sehen.“ Niemeyer ist auch ein pragmatischer Kommunist. Seine Büroetage bietet eine fantastische Aussicht, aber keinen Hauch von Luxus. Ein bisschen Chaos, viele Bücher, an die Wände sind mit Filzstift Kuppelbauten und Frauenakte gemalt. Jeden Dienstag lädt Oscar Niemeyer zehn Freunde hierher ein zum philosophischen Gesprächskreis. „Beim nächsten Mal geht es um Aufklärung. Wir haben das alles schon gemacht, aber wir fangen jetzt wieder von vorne an. Nicht mit Kant, sondern einem anderen Deutschen, wie hieß er noch? Heidegger. Er hat gesagt: Der Verstand ist der Gegner der Vorstellungskraft. Das hat mir gefallen.“ Wenn Niemeyer einen Entwurf beendet hat, schreibt er ein Essay darüber, um seine Arbeit zu erklären. „Ein guter Text, klar und deutlich, ist das wichtigste. Die kleinen Einzelheiten des Entwurfs bleiben ohnehin unbemerkt. Architektur versteht doch niemand.“ Niemeyer bedankt sich für den Besuch, nebenan ist schon der Tisch für das Mittagessen gedeckt. Sechs Teller, für den Chauffeur, den Sekretär und die anderen, die sich im Büro tummeln, ohne dass ihre Funktion deutlich wird. Und vorsichtig die Zeichnung einpacken, die Oscar Niemeyer mit Filzer auf Pergamentpapier gebannt hat. Es ist eine nackte Frau. Die Autorin hält sich mit einem Stipendium der Internationalen Journalisten-Programme in Rio de Janeiro auf. Ihre Namensgleichheit mit Oscar Niemeyer ist zufällig.

Frauke Niemeyer, Rio de janeiro

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