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Landeshauptstadt: Mitten unter uns

RBB-Intendantin Dagmar Reim hielt Bürgerpredigt

RBB-Intendantin Dagmar Reim hielt Bürgerpredigt Von Lutz Borgmann Der Abschlussgottesdienst der diesjährigen Friedensdekade zeichnete sich durch einen besonderen Akzent aus. Superintendent Bertram Althausen hatte in seiner Funktion als Vorsitzender des RBB-Rundfunkrates die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Dagmar Reim, für die „Bürgerpredigt“ am Buß- und Bettag gewinnen können. Dass Laien an diesem Tage von der Kanzel sprechen, hatte es auch in den Jahren zuvor gegeben. Das Besondere aber war, dass Dagmar Reim bekennende Katholikin ist: „Meine religiöse Bindung spielt für mich lebenslang eine RolleEs sind die Werte, die mich interessieren und für die ich auch einstehe.“ Nun stellte ein protestantischer Geistlicher der katholischen Laiin die Kanzel der Friedenskirche zur Verfügung. Für die RBB-Intendantin war es richtig „aufregend, auf einer Kanzel zu stehen“. Auch der vorgegebene Predigttext aus dem Lukas-Evangelium mit dem Kernsatz „Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,20-30) gehört nicht zu den Bibelstellen, die leicht zu interpretieren sind. Dagmar Reim bekannte, dass sie über das „Kommen des Reiches Gottes“ nicht in der Kirche und in keinem Gespräch mit einem Priester, sondern in einer Aufführung der Mahagonny-Oper von Bertolt Brecht nachgedacht habe. Die Chöre der Heilsarmee „Hört auf den Herrn und sauft nicht mehr“ hätten das Publikum eher amüsiert als nachdenklich gestimmt. „Warum bemerken wir nichts vom Reich Gottes, von dem die Bibel sagt, es sei unter uns“, fragte sie und gab die Antwort: „Wir haben keine Zeit dafür!“ Sie lud die Gemeinde ein: „Lehnen Sie sich einen Moment zurück (sofern es bei diesen Stühlen geht) und denken Sie einen Moment gemeinsam mit mir nach.“ In eindringlichen, klaren Sätzen entwarf sie das Bild unserer Kommunikationsgesellschaft, in der keine Zeit und kein Raum für das Reich Gottes ist: „Noch nie in der Menschheitsgeschichte haben die Erdbewohner so viel miteinander geredet Wunderbar, könnte man vorschnell sagen, es funktioniert bereits mit dem Dorfklatsch im globalen DorfAber werden wir besser, ruhiger, friedfertiger?“ Das gelte nicht nur für den privaten Bereich, den Beruf, auch in der Politik sei kein Platz für das Reich Gottes. Einem Parlamentarier, der im Bundestag über das Saalmikrofon verkündigte „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, würde der Sitzungspräsident unauffällig das Mikrofon abschalten, weil da jemand offensichtlich ein Problem habe Wenn Laien über die Bibel nachdenken, „predigen“ sie nicht. Sie „solidarisieren“ sich, sie sprechen zu Menschen, von denen viele ähnlich denken wie sie. Dagmar Reim gelang es mit ihrer unaufdringlich verhaltenen Sprache, die größtenteils älteren Gottesdienstbesucher zu fesseln. Sie stellte sich zu den Hilflosen und Unsicheren. Obwohl wir Deutschen in der längsten Friedensperiode seit Jahrhunderten lebten, seien wir nicht in der Lage die Teufelskreise von Gewalt, Terror und Zerstörung zu durchbrechen. Doch wer Teufelskreise verlassen wolle, dürfe nicht auf andere warten. Er müsse beginnen, statt zu appellieren. Ganz ohne ein Fünkchen Hoffnung wollte Dagmar Reim die Gemeinde nicht in den nasskalten Novemberabend entlassen: „Wenn wir nicht mehr so furchtbar wichtig, eilig und hektisch wären, wenn wir uns den zweiten Blick auf die Menschen in unserem Leben gönnten und den dritten Versuch, mit ihnen zu teilen, dann könnte es sein, dass wir - jäh und unerwartet - sähen: Das Reich Gottes ist mitten unter uns.“

Lutz Borgmann

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