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Landeshauptstadt: Nach Ball kommt Kind

Die Havelbus-Verkehrsgesellschaft lässt ihre Busfahrer in Bornim Extremsituationen durchfahren

Die Havelbus-Verkehrsgesellschaft lässt ihre Busfahrer in Bornim Extremsituationen durchfahren Von Guido Berg „Den kriegste noch, den kriegste noch!“ Die Herren Busfahrer im Heck machen ihre Witze. „Gib Gas, die Kollegen müssen noch zum Dienst“. Dietmar Saalfeld sieht mit seinem goldenen Ohrring nicht aus wie einer, dem man sagen muss, was er zu tun hat. Beschleunigung ist jetzt seine Aufgabe. Schon in der Kurve drückt er das rechte Knie durch und senkt die Fußspitzen: Der Mercedes-Bus reagiert prompt auf das Gaspedal am Bodenblech, er zieht an, wieder auf der Geraden erreicht er nach wenigen Sekunden 60 Kilometern pro Stunde.. Die Havelbus-Verkehrsgesellschaft hat sich für ihr Busfahrer-Training auf dem TÜV-Gelände in Bornim nagelneue rot-weiße Signalkegel gegönnt. Zwei von ihnen markieren nun links und rechts der Strecke eine virtuelle Linie. Als die Busfront sie durchbricht steigt Dietmar Saalfeld kompromisslos auf die Eisen: Vollbremsung! Seine Kollegen stemmen sich mit Armen, Beinen und aufeinander gepressten Zähnen gegen den Drang nach vorn. Das Antiblockiersystem rattert wie eine Maschinenpistole, mehrmals in der Sekunde löst es für das Zehntel eines Wimpernschlages die Bremsbacken, um sie sofort wieder fest in die Bremsscheiben beißen zu lassen. Das hat den Effekt, dass die Reifen nicht abrupt stillstehen, peu á peu drehen sich die Pneus weiter und verhindert so die sonst garantierte Rutschpartie auf der nassen Betonpiste. Der Bus steht. „Schön Dietmar, schön gemacht“, heißt es über Funk. Die Kollegen auf den hinteren Plätzen nehmen einen tiefen Atemzug. Der Mann vom örtlichen Fernsehen will die Bremsaktion aber noch aus anderen Perspektiven aufnehmen, Dietmar muss nochmal ran. Und noch mal, und dann noch zwei Mal. Für ihn kein Problem, auch der Kameramann vertraut ihm, er lässt den Bus genau auf sich zu fahren, er weiß, ab der Linie zwischen den Kegeln wird negativ beschleunigt was das Zeug hält. Vom Heck her schallt es jetzt so: „Der macht so lange, bis jemand bricht!“ Am Pistenrand steht Personaltrainer Wolfgang Heinze unterm großen Regenschirm und beobachtet, wie seine Schützlinge Gefahrenbremsung üben. „Wir wollen Extremsituationen schaffen. Die Fahrer sollen spüren, wie sich die Bremswirkung entfaltet.“ Wie es sich als Fahrgast anfühlt, wenn der Busfahrer forsch bremst, haben die Kollegen gerade erfahren dürfen – auch das ein Zweck der Übung. Der Fahrer soll das Busfahren aus Sicht der Fahrgäste kennen lernen. Beim Schnell-im-Kreis-Fahren geht es beispielsweise um die Erprobung der Fliehkräfte: Wie wirken sie auf den Fahrgast, wenn der Bus in die Haltestellenbucht einfährt und er gerade aussteigen will? Doch Heinze stellt klar, es gibt Situationen, da muss die Sensibilität gegenüber dem Kunden zurück stehen: Bevor der Bus in ein Stauende fährt, sei es besser, gebrochene Fahrgast-Rippen in Kauf zu nehmen, als womöglich Tote durch den Crash. Nun geht es um ein Hindernis, dass seitlich in die Fahrspur des tonnenschweren Vehikels einbricht – „Nach Ball kommt Kind“, sagt Trainer Heinze. Ein Kollege wirft einen Autoreifen auf die Straße, der Fahrer reißt den Buslenker herum. Seine Aufgabe ist es, den Reifen mit dem Bus nicht zu berühren. Diese Übung gelingt nicht jedem der Männer, einmal schlägt der Reifen frontal gegen die Busfront, gerät dann zwischen die Vorderachse und wird über den porösen Beton geschleift, bis das Fahrzeug steht. „Das sind alles ausgebildete langjährige Fahrer“, kommentiert Heinze, der nicht unzufrieden zu sein scheint, wenn das Manöver mal schief geht: „Es soll ja keine Routine aufkommen.“ Auch beim Durchfahren eines Hindernisparcours – gebildet aus den rot-weißen Kegeln – wird hin und wieder einer von ihnen per Stoßstange weggekegelt. Wolfgang Heinze lässt keinen Zweifel daran, dass der Beruf des Busfahrers seine Herausforderungen kennt. Er berichtet von einem Vorfall aus dem vergangenen Jahr. In Rathenow wollte der Fahrer eines leeren Busses eine Fahrradfahrerin überholen, die jedoch in dem Moment nach links auf die Fahrbahn ausbrach. Der Fahrer riss das Steuer herum, ein Vorderrad prallte gegen die Bordsteinkante, der Bus wurde ausgehoben und flog förmlich gegen einen Baum. Der Fahrer schleuderte aus dem Sitz, ein Fuß blieb hängen und wurde abgerissen, der Feuerlöscher zertrümmerte ihm das andere Bein. Die Radfahrerin aber blieb unversehrt. Auf die Frage, ob ihn der Fahrtest außergewöhnlich gefordert hat, sagt Fahrer Dietmar Saalfeld hinterher: „Nein, denn das ist das tägliche Leben.“ Erst kürzlich habe er hart bremsen müssen, als ein Junge auf dem Fahrrad knapp vor ihm über die Straße fuhr.

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