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Homepage: Politisierung der Lust

Die US-Historikerin Dagmar Herzog hat im Einstein Forum ihr Buch über Sexualmoral und Vergangenheitsbewältigung vorgestellt

„ Make Love not war“ ist eine der sympathischsten Parolen aus den 60er Jahren. Die Theorie, dass gelebte Sexualität eine Präventivmaßnahme gegen Gewaltexzesse sei, hat sich jedoch leider als allzu naiv erwiesen. Denn Sexualität und Macht, Lust und gesellschaftliche Repression bedingen einander. Das hat der französische Philosoph Michel Foucault detailliert in seiner Studie „Sexualität und Wahrheit“ untersucht, die vor genau 30 Jahren erschien und für Furore sorgte.

Eine ähnliche Fragestellung verfolgt die amerikanische Historikerin Dagmar Herzog in ihrem soeben auf deutsch erschienenem Buch „Die Politisierung der Lust“, das sie unlängst im Einstein Forum vorstellte. Anders als Foucault konkretisierte sie ihren Untersuchungsgegenstand und analysiert den Zusammenhang und die Wechselbeziehungen von Sexualmoral und Vergangenheitsbewältigung in den beiden deutschen Staaten nach 1945. In ihrem Vortrag konzentrierte sie sich auf die 60er Jahre in der Bundesrepublik.

Der Aufruf zur freien Liebe, wie er im Zuge der Studentenrevolten laut wurde, galt auch als antifaschistischer Akt, denn es galt als erwiesen, dass der Faschismus und seine Vernichtungsideologie sich ursächlich aus unterdrückter Sexualität speise. Die nationalsozialistische Sexualpolitik sei jedoch, so Herzog, gerade nicht sexualfeindlich gewesen. Im Gegenteil: Sexualität wurde geradezu propagiert, die Freizügigkeit der Weimarer Republik übernommen, wenn auch für eine eingeschränkte Bevölkerungsgruppe und unter veränderten Vorzeichen. Denn die rassistischen und homophoben Elemente der faschistischen Ideologie hatten für die Betroffenen tatsächlich repressiven Charakter. Erlaubt und gefördert wurde hingegen die „reine“ Sexualität unter „Ariern“.

Die Vermutung, dass die in Zeitschriften wie „Schwarzer Korps“ propagierte freizügige Sexualmoral vor allem als Instrument der Bevölkerungspolitik diente, mit dem Ziel mehr „arischen“ Nachwuchs zu bekommen, trifft nach Herzog nicht in den Kern der pro-Sex-Kampagnen der Nazis. Der legale Zugang zu Kondomen, die Entkriminalisierung von Ehebruch und die Ermunterungen für jugendlichen und vorehelichen Sex waren nicht nur ein bewusster Affront gegen die Kirchen, sondern auch eine Strategie, die Menschen an das Regime zu binden – indem man ihnen Glück versprach. Der Philosoph Herbert Marcuse analysierte bereits 1941 diese „Gleichschaltung der Seelen“ durch eine freizügige Sexualmoral als „repressive Entsublimierung“.

Gegen diese libertinäre Praxis setzten die 50er Jahre die Prüderie. Wie Herzog betonte, ist der Einfluss der Kirche auf die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft, der durch die CDU/CSU auch auf die Gesetzgebung gewirkt habe, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Durch die Etablierung von konservativen Werten, sollte ein bewusster Kontrast zur unbürgerlichen Lasterhaftigkeit der Nazis gesetzt werden. Gleichwohl lenkte diese Abgrenzung von ideologischen Kontinuitäten ab, etwa von der weiterhin propagierten Homophobie, aber auch von dem Fakt, dass viele Christen dem NS-System gegenüber positiv eingestellt waren. Mit der gelebten Sexualität hatte die gesellschaftliche Moral indes wenig zu tun, wie ein Blick auf die sehr hohen Abtreibungsraten in der BRD verrät.

In den 60er Jahren rebellierte man gegen diese Verlogenheit und interpretierte die Prüderie der Eltern als Kontinuität aus dem Faschismus. Christliche und faschistische Moral wurden nun nicht mehr als Gegensatzpaar, sondern als ähnlich wahrgenommen – und verworfen. Diese Auffassungen beschränkten sich, so Herzog, nicht nur auf linke Studentenkreise, sondern fanden ihr Echo auch in der bürgerlichen Presse, die in selektiven Zitaten die Kirchenväter wie Hitler als Sex-Kritiker darstellten. Die Kirchen reagierten ihrerseits mit einer Lockerung ihrer Vorschriften, so billigten katholische Bischöfe in der BRD gegen den Vatikan die Pille für vorehelichen Sex.

Es sei kein Zufall, dass die großen Debatten um ein neues Sexualstrafrecht in der BRD zeitgleich mit den Auschwitzprozessen begannen. Die Forderung nach sexueller Befreiung sei als Teil der Vergangenheitsbewältigung (miss-)verstanden worden. Herzogs Studie weist darauf hin, dass Sex nicht das Gegenteil von Macht ist und die Liberalisierung von Sex nicht zwingend eine Demokratisierung der Gesellschaft bedeutet. Lene Zade

Morgen im Einstein Forum: „Warum und zu welchem Ende evaluiert man Geisteswissenschaften?“, Podiumsdiskussion mit Stefan Hornbostel, Jürgen Kaube, Sybille Krämer, 19 Uhr, Am Neuen Markt 7.

Lene Zade

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