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Lebensmittelkunde der anderen Art. Turbine-Spielerin Jolanta Siwinska im Einsatz bei der Potsdamer Tafel.

© Andreas Klaer

Aktion von Turbine Potsdam: Potsdamer Tafel statt Trainingsplatz

Turbine-Spielerinnen werben mit Einsatz an Lebensmittelausgabe für mehr freiwillige Helfer bei der Tafel Potsdam.

Wenn die Fußballerinnen des 1. FFC Turbine Potsdam am Samstagmorgen auf ihrer langen Fahrt zum Auswärtsspiel nach Frankfurt am Main im Bus sitzen, wird es unterwegs Kaffee und Tee geben. „Sicher machen wir unterwegs auch an einer Raststätte halt“, vermutet Klubpräsident Rolf Kutzmutz. Abends im Hotel wird es eine ordentliche Mahlzeit geben und am Morgen vor dem Spiel ein kräftiges Frühstück. „Kein Bankett, sondern sportgerechte Kost“, meint Kutzmutz.

Um ihren Speiseplan müssen sich die Bundesliga-Spielerinnen keine Sorgen machen. Dass es in einer wohlhabenden Stadt wie Potsdam aber Menschen gibt, die kaum wissen, womit sie ihren Tisch decken sollen, haben einige Turbine-Spielerinnen am vergangenen Mittwoch mitbekommen. Sie erfuhren bei einem Besuch der Lebensmittelausgabe der Potsdamer Tafel in der Drewitzer Straße, dass die Zahl der Bedürftigen vor allem in den letzten Monaten stark gestiegen ist. Denn mit Zunahme der Flüchtlinge in Potsdam wächst auch die Nachfrage nach kostenlosen Lebensmitteln, die von der Tafel verteilt werden.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sind“, meinte Turbine-Spielerin Lidija Kulis. Jede Woche kommen laut Tafel-Geschäftsführerin Imke Eisenblätter tausend Kunden zu den drei Ausgabestellen in Potsdam und Teltow. Innerhalb eines Jahres sei die Zahl der Tafel-Kunden um zehn Prozent gestiegen, sagt Johannes Wegner, der die Tafel als gemeinnützigen Verein vor fast 20 Jahren mitgegründet hat. „Erschreckend ist, dass die Zahl der Kinder rapide gestiegen ist“, sagt er.

Der wachsende Bedarf verlangt auch zunehmend Helfer. Aktuell sind es 95 Freiwillige, die von von Dienstag bis Freitag an den Ausgabestellen im Einsatz sind oder täglich zwischen 60 und 70 Supermärkten pendeln, um dort Lebensmittel abzuholen. Daher sei es wichtig, dass bekannte Gesichter wie Sportler, Künstler oder Politiker öffentlich auf den Bedarf und die Notwendigkeit freiwilliger Helfer aufmerksam machen. „Denn wenn nicht gerade Wahlen sind, lassen sich Politiker hier nicht sehen“, bemerkt Wegner.

Für die Fußballerinnen Marina Makanza, Magdalena Szaj, Jolanta Siwinska, Lidija Kulis und Felicitas Rauch blieb es am Mittwochnachmittag nicht nur bei einem kurzen Informationsbesuch. Als um 15 Uhr die ersten Kunden kommen, stehen die fünf Spielerinnen hinter dem Ausgabetresen, an dem nach Vorlage der Berechtigungskarten erst Gemüse, dann Obst, dann Back- und dann Frischwaren ausgegeben werden. Französin Makanza bekommt zunächst noch etwas deutschsprachige Lebensmittelkunde. „Es gibt Lauch- und Frühlingszwiebeln“, erklärt ihr Tafel-Helfer Hans-Jürgen Schneidewind. „Eisbergsalat“ und „Bohnen“ kann Marina Makanza nach ein paar Wiederholungen schon recht gut ausdrücken. „Aber Blumenkohl ist schwierig“, sagt sie. Aber die Verständigung klappt auch ohne Worte: Viele auf der anderen Seite des Ausgabetisches sprechen kein Deutsch und zeigen daher mit der Hand auf die verschiedenen Gemüsesorten in den Kisten. „Ich kenne solche Einrichtungen auch aus Frankreich“, erzählt Marina Makanza. „Die meisten, die dort hinkommen, sind Araber oder Afrikaner. Hier sind es viele Weiße“, sagt sie. In der Ausgabestelle in Teltow, die sich unweit einer Asylbewerberunterkunft befindet, sieht das anders aus. „Da kommen auch viele Flüchtlinge aus Somalia oder Eritrea“, so Tafel-Geschäftsführerin Eisenbätter.

Auch in ihrer bosnischen Heimat gebe es Ausgabestellen für Lebensmittel, sagt Lidija Kulis. „Aber da ist es nicht so gut organisiert wie hier“, meint sie. Hinter dem nahezu reibungslosen Ablauf steht in der Tat ein enormer Aufwand an Organisation und Koordinierung: wöchentlich Helfer mobilisieren, Kontakte mit Sponsoren knüpfen und pflegen, Fahrzeuge in Einsatzbereitschaft halten, Buchhaltung, Statistiken führen, über gesetzliche Vorschriften auf dem Laufenden sein und die Kunden informieren – das Pensum für Imke Eisenblätter als einzige Beschäftigte des Vereins ist enorm.

Von der Arbeit hinter der Arbeit bekommen die fünf Turbine-Spielerinnen bei ihrem Nachmittagseinsatz nicht viel mit, von dem Andrang am Ausgabetisch indes schon. Ihr Trainer Bernd Schröder meint, dass für die ausländischen Spielerinnen wichtig sei zu sehen, dass es in Deutschland nicht allen Menschen gut geht. Junioren-Nationalspielerin Felicitas Rauch, die mit 19 Jahren bei Turnier- und Wettkampfreisen schon einiges von der Welt gesehen hat, bestätigt, dass es im Ausland oft das Bild vom reichen Deutschland gibt. „Es geht vielen ja auch verhältnismäßig gut“, sagt sie, „aber es gibt eben auch eine andere Seite.“ Sie selbst habe nach dem vergangenen Weihnachtsfest einen großen Karton mit Süßigkeiten, die sie geschenkt bekommen hatte, zur Potsdamer Tafel gebracht. „So viel konnte ich gar nicht essen – und als Sportlerin ohnehin nicht“, sagt sie.

Die aktuellen Bilder und Nachrichten von den Flüchtlingsströmen verfolge Felicitas Rauch intensiv in den Medien. Und aus Erzählungen der einstigen Turbine-Spielerin und Teambetreuerin Aferdita Podvorica, deren Familie aus dem Kosovo flüchtete, habe das Flüchtlingsthema bereits in der Vergangenheit eine gewisse Nähe für Turbine gehabt. „Sie hat einiges erzählt, was mich sehr berührt hat“, sagt Felicitas Rauch.

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