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MITgefühlt: Prinzip Hoffnung

Der Winter war lange Zeit sehr mild, und trotzdem niesen die meisten. Das Wetter wäre vielleicht Stoff für meine erste Kolumne gewesen.

Der Winter war lange Zeit sehr mild, und trotzdem niesen die meisten. Das Wetter wäre vielleicht Stoff für meine erste Kolumne gewesen. Aber da war ja der Jahreswechsel mit dem Besuch der drei Könige mit ungeklärter Migrations- und Wandergeschichte und geleitet von dem Stern, der noch 2000 Jahre danach für Hoffnung, Orientierung steht – und Versprechen. Eine gute Gelegenheit, Vorsätze für das neue Jahr zu fassen.

Das war vor wenigen Wochen. Was ist bislang aus den Vorhaben, auch Ihren, geworden – wenn es eben mehr war, als sich vielleicht den ganzen Winter lang nicht erkälten zu wollen?

Ich hatte mir vorgenommen, meine Sitznachbarn immer freundlich zu grüßen, wenn ich mich zum Beispiel in der Tram oder in der Regionalbahn – für den Fall, dass die letztere dieses Jahr doch unerwartet wieder fahren würde – hinsetzen würde. Ich würde mich auch nicht von erstaunten, fragenden oder herablassenden Blicken davon abhalten lassen zu grüßen.

Als Zweites wollte ich nun endlich das Briefkastenschloss austauschen lassen und die bisher verwendeten Stäbchen, mit denen ich meine Briefe – ganz zur Unterhaltung meiner Nachbarinnen und Nachbarn – herausfischte, wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion zurückkehren lassen.

Als Drittes hatte ich vor, einen Freund, der drohte sich seelisch aufzugeben, zu besuchen. Die weiteren Vorsätze mögen geheim bleiben. Bei zwei hat es geklappt. Also besteht noch Hoffnung.

Aber wie sieht es nun mit den alle Menschen betreffenden Vorsätzen aus? Darüber könnte ein Nachbar, der noch mit einer Sammlung von DDR-Flaggen seinen Wohnungsflur schmückt, ganz aus seiner Sicht sicher Bände erzählen. Eine andere, 84-jährige Nachbarin ist da viel optimistischer: Sie blickt voller Zuversicht in die Zukunft und geht auch noch zu Fuß ihre sieben Etagen hoch.

Schließlich ist da noch dieser junge Mann. Er ist tapfer, freundlich und zu jeder Zeit hilfsbereit. Er bezahlt für den Deutschunterricht, hat Pläne und Talent. Aber leider keinen sicheren Aufenthalt. Es geht aber auch um Alltägliches: Da ist dieses Mädchen, das in der Tram ein Stückchen seitwärts rückt, damit ich mich hinsetzten kann, mir einfach zulächelt und „Tschüss“ sagt, als sich unsere Wege trennen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Den Rahmen dafür auch im Alltag zu schaffen, das würde als Vorhaben für das gesamte Jahr – und die darauf folgenden – reichen.

Marianne Ballé Moudoumbou wohnt in Potsdam und arbeitet als Diplom-Dolmetscherin. Ende 2010 wurde sie von rund einer Million Berliner und Brandenburger mit Migrationsgeschichte stellvertretend gewählt, um die Interessen der Gesellschaft im RBB-Rundfunkrat zu vertreten.

Marianne Ballé Moudoumbou

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