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Homepage: Rechtsextreme sind weltweit vernetzt Zwei Kenner der Szene im Einstein Forum

„An der Landesgrenze von Thüringen erwartet mich stets die Polizei“, erzählt die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane. Kahanes durch eine jahrzehntelange Arbeit zu dem Thema angesammelten Erkenntnisse sind so brisant, dass sie gelegentlich Bomben-, Mord- und andere Drohungen erhält.

„An der Landesgrenze von Thüringen erwartet mich stets die Polizei“, erzählt die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane. Kahanes durch eine jahrzehntelange Arbeit zu dem Thema angesammelten Erkenntnisse sind so brisant, dass sie gelegentlich Bomben-, Mord- und andere Drohungen erhält. Deshalb schützt die Polizei sie bei ihren Reisen. Zugleich aber versichern ihr Thüringische Behörden, dass Rechtsextremismus in dem Bundesland, und überhaupt, sowieso gar kein Problem darstelle.

Das findet die engagierte ehemalige und einzige Ausländerbeauftragte des Magistrats von Ostberlin allerdings etwas widersprüchlich. Es ist nicht der einzige Widerspruch, auf den Kahane in der Diskussion mit dem Politikwissenschaftler Tanil Bora im Potsdamer Einstein Forum zu sprechen kommt. 182 Opfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung verzeichnet gegenwärtig eine Statistik der Amadeu Antonio Stiftung. Offizielle Stellen verzeichnen dagegen lediglich 63 Opfer. In der Höhe der Opferzahlen spiegeln sich die unterschiedlichen Definitionen der rassistischen Motivation der jeweiligen Verbrechen.

Tanil Bora weist auf entsprechend motivierte Morde in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Russland und der Türkei, hin. Dort werde der Opfer in ganz anderer Weise gedacht als in Deutschland. Als 2007 der türkische Journalist Hrant Dink von einem 16-Jährigen erschossen wurde, habe es Gedenkdemonstrationen mit mehr als 100 000 Menschen gegeben. In Russland habe es ähnliche Reaktionen gegeben, als die Journalistin Anastassija Baburowa und der Anwalt Stanislaw Markelow im Jahre 2009 in Moskau erschossen wurden. Aus dem spontanen Gedenken habe sich in Russland und der Türkei der 19. Januar als zentraler Gedenktag entwickelt, denn dies war der Todestag aller drei Opfer, erklärt Bora.

Bora ist sich mit Kahane einig, dass in Deutschland der mediale Fokus und die Wahrnehmung des Rechtsextremismus zu sehr bei den jeweiligen Tätern verharren. „Die Namen der NSU-Täter sind in der Öffentlichkeit bekannt, nicht aber die der Opfer“, erklärt Bora. Die Bezeichnung „Döner-Morde“ stelle ohnehin eine Verharmlosung dar, schließlich seien ja Menschen ermordet worden. Weil die Opfer der Mordserie häufig türkischen Namen und einen migrantischen Hintergrund gehabt hätten, würden sie nicht als „Teil der Gesellschaft“ empfunden und auch nicht entsprechend gewürdigt, meint Kahane. So finde eine deutlich eingeschränkte Wahrnehmung des Rechtsextremismus statt. Die entsprechende extremistische Szene sei da viel globaler organisiert.

Kahane berichtet von einer Reise rechtsextremer Ideologen nach Nordkorea, von der die Reisekader hellauf begeistert ob des zackig organisierten Gemeinwesens zurückgekehrt seien. Auch in Europa seien die Neofaschisten via Internet bestens vernetzt. „Es bringt gar nichts, neofaschistische Parteien zu verbieten“, stellt die Kritikerin fest und zeigt eine Karte, auf der die Standorte entsprechender Kameradschaften markiert sind. Rote Punkte sprenkeln sich über die gesamte Fläche Deutschlands. Alte Kameradschaften und junge Neofaschisten böten den Nährboden der aktuellen, dann auch parteilich organisierten rechten Strömungen.

Eine aktive Verfassungsdemokratie sei das einzige Mittel gegen die rechte Szene, erklärt Kahane. Aufklärung über deren Gefährlichkeit sei dringlich. Es sei notwendig, miteinander zu reden, betont auch Tanil Bora. Die Stärke des ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink sei es gewesen, gerade mit „milden und leisen Tönen“ zu beeindrucken. „Dink hat auch Menschen erreicht, die sich abgeschottet hatten“, so Bora. Auch wenn dies beispielhaft sei, dürften andere, weniger wortmächtige Opfer rechter Gewalt nicht vergessen werden. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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