zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Seele in Gips

Angsterkrankte sucht Gleichgesinnte zwecks Selbsthilfe

Angsterkrankte sucht Gleichgesinnte zwecks Selbsthilfe Von Nicola Klusemann Als sie gerade auf die Autobahn Richtung Dreilinden auffuhr, bekam sie plötzlich Schweißausbrüche, Herzrasen, Atemnot. Das war Mitte vergangenen Jahres – „meine erste Panikattacke“, wie Jeanette L.* heute weiß. Ihre kleine Tochter saß hinten mit im Wagen. „Mir schossen tausend Sachen durch den Kopf.“ Die heute 31-Jährige dachte, dass sie diese Situation nicht überlebt. In dem Moment traute sie sich nichts mehr zu, nicht einmal, dass sie es schaffen könnte, auf den Randstreifen zu fahren und anzuhalten. Irgendwie kam sie ans Ziel, auf dem Rückweg mied sie die Autobahn. Die Symptome blieben. In den folgenden Wochen setzte sie sich immer seltener hinters Steuer, schließlich hörte sie auf, Auto zu fahren. „Typische Vermeidungshaltung bei Angstpatienten“, diagnostiziert Jeanette L. im Rückblick. Weil die junge Potsdamerin eine Freundin hatte, die ebenfalls unter einer so genannten Angststörung litt, fand sie schnell Hilfe. Manche durchlebten lange Leidenswege, bis sie schließlich therapiert würden. Zunächst würden die Betroffenen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin untersucht, die Allgemeinmedizin sei dann nach Negativbefund schnell am Ende. Bei ihr sei das „zum Glück“ anders gewesen, betont sie mehrfach. Auch als sie sich „kurz vor dem Durchdrehen“ in der Psychiatrischen Klinik In der Aue aufnehmen ließ, konnte sie gleich eine stationäre Therapie anschließen. Zur glücklichen Fügung habe außerdem gehört, dass sie eine Kombination aus tiefenpsychologischer und Verhaltens-Therapie in Anspruch nehmen konnte. „Zwar weiß ich immer noch nicht genau, woher meine Panikattacken kommen“, sagt die 31-Jährige. Aber sie habe genug Handwerkszeug, um den Anfällen entgegenzuwirken. Dem sei ein hartes Training vorausgegangen. Schrittweise habe ihre Therapeutin sie an Angst auslösende Situationen herangeführt. „Ich musste durch sie hindurch, um festzustellen, dass ich heil herauskomme“, schildert Jeanette L. die Vorgehensweise. In der autofreien Zeit sei sie zum Beispiel S-Bahn gefahren. Nicht ohne Angst. Vor allem auf dem Bahnsteig den einfahrenden Zug zu beobachten, löste Panik aus. „Ich dachte, ich verliere die Kontrolle und falle vor den Zug.“ Deshalb habe sie immer auf der Treppe zum Bahnsteig gestanden und gewartet, bis die S-Bahn angehalten hatte. Beim so genannten Expositionstraining musste sie oben an der Bahnsteigkante stehen und den Zug erwarten – in der Jackentasche ihr Handy mit eingegebener Therapeuten–Nummer, für alle Fälle. Sie hat es überstanden, überlebt. Wenn Jeanette L. Panik schiebt, sieht man ihr das kaum an. „Von Außen ist nicht zu sehen, was für einen Kampf ich im Innern austrage.“ Sie ärgert es, dass deshalb auch so wenige Menschen diese Störung als Krankheit bei anderen oder auch bei sich anerkennen wollen. „Ist ein Bein bandagiert, der Arm in Gips, weiß man: Dieser Mensch leidet.“ Bei seelischen Erkrankungen sei das anders. Schnell werde man in eine Schublade gesteckt. Jeanette L. will sich für die gesellschaftliche Anerkennung der Angsterkrankung einsetzen. Das ebne auch den Weg für Hilfsangebote und Therapie. Bei richtiger Behandlung nämlich könnten sich Betroffene von ihrer Angst befreien. Jetzt sucht die 31-Jährige Gleichgesinnte zur gegenseitigen Stütze, zum Erfahrungsaustausch, aber auch um über Gefahren und Nutzen von Medikamenten aufzuklären oder viele Entspannungsverfahren kennen zu lernen. Das erste Treffen findet am Dienstag, dem 4. Mai um 17 Uhr im Sekiz, Hermann-Elflein-Straße 11, statt. Um Anmeldung unter Tel.:(0331) 6200282 wird gebeten. *) Name von der Redaktion geändert

Nicola Klusemann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false