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Sport: Sein großer Tag

Jens Kahl fliegt heute erstmals in die USA und nimmt am Sonntag am New York Marathon teil

Der heutige Tag hält für Jens Kahl eine ganz neue Erfahrung bereit. Bereits um 6.30 Uhr trifft er sich in Berlin-Tegel mit einem Häuflein Gleichgesinnter zum Check-in für einen Transatlantikflug. Es ist das erste Mal überhaupt, dass der gebürtige Potsdamer den europäischen Kontinent verlässt. Der Grund dafür ist seine Teilnahme am New York Marathon, der am kommenden Sonntag stattfindet.

Die näheren Hintergründe der Teilnahme Kahls an einer der bedeutendsten Laufveranstaltungen der Gegenwart sind von Besonderheit. Der 42-Jährige ist einer der zehn von Radio eins unter insgesamt 2000 Interessen ausgewählten Starter. Als der rbb-Rundfunksender im vergangenen Februar aus Anlass seines zehnjährigen Bestehens mit der Idee an die Öffentlichkeit ging, zehn möglichst originelle Charaktere für das Laufereignis in der US-Metropole fit machen zu wollen, zögerte der zweifache Familienvater nicht lange. Und er verblüffte und überzeugte letztlich diejenigen, die die Auswahl der Teilnehmer an dieser ungewöhnlichen Aktion trafen, mit der Feststellung, dass er von Beruf Schornsteinfegermeister sei und man so jemanden doch per se als Glücksbringer bei dieser Aktion dabei haben sollte.

Viel hat Jens Kahl seither erlebt. „Das ganze Drumherum hat einfach Spaß gemacht. Radio eins hat uns während der vergangenen Monate organisatorisch begleitet. Erfahrene Trainer und Sportmediziner gaben fachliche Anleitung. Höhepunkt und Abschluss der Präparationen war vor knapp zwei Wochen ein perfektes Kurztrainingslager auf Schloss Liebenberg bei Gransee“, erzählt der seit zehn Jahren als Freizeitläufer Aktive, dessen Laufanfänge einen profanen Hintergrund haben: „Ich hatte einfach Angst vor Untätigkeit. So etwas soll es ja geben, wenn man in ein gewisses Alter kommt, beruflich beansprucht ist und sich einmal ein paar allgemeine Sinnfragen stellt.“

Kahl hatte 1997 den Umbau seiner Wohnung in der Berliner Vorstadt über die Bühne gebracht. Die unmittelbare Nähe zur Havel und zur Glienicker Brücke legte nahe, sich nicht etwa im Neuen Garten zu betätigen (Kahl: „Der ist für mich zu klein. Ich bin kein Rundenläufer.“). Nein, er wählte für sich das Havelufer aus, rannte bald dreimal wöchentlich zur Fitnesserhaltung am Wirtshaus Moorlake und der Pfaueninsel vorbei nach Wannsee hinein und wendete dort. Was das Laufen betrifft, ist bei Kahl seither Beständigkeit Trumpf. Sein derzeitiges Wochenpensum von bis zu 80 Kilometern bei vier oder auch mal fünf Trainingseinheiten ist für einen professionellen Marathonläufer sicher ein Witz. Jens Kahl braucht dies nicht zu kümmern. Er verkörpert, wenn man das so sehen will, die gelungene Symbiose von Spaß an der Bewegung und einem gewissen leistungssportlichen Anspruch an sich selbst. „Viel mehr als vier Stunden will ich am Sonntag nicht unterwegs sein“, sagt der Potsdamer, der bislang sechs Mal die Distanz von 42,195 Kilometern absolvierte, dabei immer auch erfolgreich gegen die Zähigkeit der letzten Kilometer anlief und hinterher das beruhigende Gefühl hatte, zur Zunft der „Finisher“ (Kahl) dazuzugehören.

Nun also New York. Wer sich mit ihm unterhält, könnte meinen, dass die Teilnahme an diesem Großereignis für Jens Kahl einem Ritterschlag gleich kommt. „Was dem Pilger Mekka ist, bedeutet dem Marathonläufer New York“, sagt der sympathische und umgängliche Sportsmann und spricht davon, die Zeit in Übersee in Sport und Erleben teilen zu wollen. Nimmt er den Lauf selbst, redet er vom Gemeinschaftserlebnis und wird trotzdem ab einer bestimmten Kilometerzahl mehr mit sich selbst zu tun haben. Obwohl: Als Kahl zuletzt in Liebenberg einmal drei Stunden am Stück gelaufen war, fühlte er sich gut wie lange nicht: „Der Kopf ist frei. Du fühlst dich einfach wohl. Ich mag diese Entspanntheit, die mir auch im Beruf zugute kommt.“

Das Berufsbild des Schornsteinfegermeisters, so Kahl, hat sich im vergangenen Jahrzehnt fast völlig gewandelt. Er selbst steigt kaum noch auf Dächer, ist heute vielmehr mit Mess- und Überwachungsaufgaben befasst und sitzt viel am Schreibtisch. Daher auch seine Affinität zum Laufen als Ausgleich im Alltag, den Jens Kahl ab heute für sechs Tage hinter sich lässt. Danach gefragt, was ihn am Vorabend im Zusammenhang mit der bevorstehenden Reise beschäftigt, sprach er gestern von einer Mischung aus Anspannung und Vorfreude.

Thomas Gantz

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