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Aus dem GERICHTSSAAL: Seniorin machte lange Finger

Aus dem GERICHTSSAAL Die Sitzordnung bei dieser Verhandlung ist außergewöhnlich. Weil die Angeklagte hochgradig schwerhörig ist, darf sie ihren Stuhl unmittelbar vor den Richtertisch stellen.

Aus dem GERICHTSSAAL Die Sitzordnung bei dieser Verhandlung ist außergewöhnlich. Weil die Angeklagte hochgradig schwerhörig ist, darf sie ihren Stuhl unmittelbar vor den Richtertisch stellen. Die Tochter der des Ladendiebstahls Bezichtigten nimmt daneben Platz. Doch auch dann funktioniert die Kommunikation nicht ganz reibungslos. „Ich kann Sie sehr schlecht verstehen“, meint Herta H.* (66). Amtsrichterin Waltraud Heep weist die Staatsanwältin an, laut und deutlich zu sprechen. „Außerdem wissen Sie doch, was Ihnen vorgeworfen wird, oder?“, fragt sie die Seniorin. Herta H. nickt. Dann kullern die Tränen. Die Berlinerin entwendete laut Anklage am 23. Juni bei Ebbinghaus ein T-Shirt für 29,95 Euro. Das Gericht erließ daraufhin einen Strafbefehl über 1200 Euro. Zu viel, befand die ertappte Diebin, legte Einspruch ein. Gestern kam es zur mündlichen Hauptverhandlung. „Tut mir leid, was ich gemacht habe“, schluchzt die Rentnerin. „Das T-Shirt hat mir sehr gut gefallen. Und eigentlich wollte ich es ja auch bezahlen. Aber dann ist es einfach passiert.“ „Nix ist passiert. Sie haben das Ding schlichtweg geklaut“, wirft die Vorsitzende ein. „Das war auch kein einmaliger Ausrutscher einer armen Rentnerin, die mal ein Stück Käse mitgehen lässt. Sie sind bereits siebenmal wegen Diebstahls aufgefallen, einmal sogar auf Bewährung verurteilt worden.“ Dann legt sie der Angeklagten nahe, den Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzunehmen. „Wenn ich Sie heute verurteile, kann es nur teurer werden. Da kommen die Gerichtskosten nämlich noch dazu. “ Herta H. schaut Hilfe suchend zu ihrer Tochter. Richterin Heep rät den beiden, sich im Flur eine ungestörte Ecke zu suchen. Dort – so ihr Vorschlag – möge die Jüngere der Älteren plausibel machen, was sie eben ausgeführt habe. Wenig später erklärt die Tochter: „Meine Mutter ist mit der Strafe einverstanden. Allerdings weiß sie nicht, wo sie so viel Geld hernehmen soll.“ Die Angeklagte ergänzt: „Ich möchte das bitte abzahlen, wenn es geht.“ Kein Problem, befindet die Vorsitzende. Sollte sich die Seniorin allerdings vor der Begleichung der Raten drücken, bestehe theoretisch die Möglichkeit, sie ins Gefängnis zu stecken. Dies würde bei den im Strafbefehl verhängten 60 Tagessätzen runde zwei Monate hinter Gittern bedeuten. Die Frauen erschrecken sichtlich. „Meine Mutter ist doch krank. Ich habe Ihnen ärztliche Atteste geschickt. Ich glaube nicht, dass sie haftfähig ist“, lässt die Tochter verlauten. Die Richterin gibt Entwarnung. „Ich hege da in der Tat auch Bedenken.“ Herta H. versteht den Disput nicht. „Ich bezahle“, erklärt sie bestimmt. (*Name geändert.) Hoga

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