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Landeshauptstadt: Sich Zeit nehmen

Helferin Christine A. betreut Menschen mit Demenz im häuslichen Bereich

Helferin Christine A. betreut Menschen mit Demenz im häuslichen Bereich Von Ulrike Strube Scheinbar unbemerkt geht Christine A. durch den Speisesaal. Ihre dunklen Augen suchen Lydia S. Die alte Dame ist im Gespräch vertieft. Sie erklärt ihrer Tischnachbarin wie man mit einer Kuchengabel Pflaumenkuchen isst. Christine A. bleibt stehen und beobachtet das Gespräch. Um ihren Mund und ihre Augen bilden sich Lachfalten. Seit Januar besucht Christine A. drei, vier Mal in der Woche Lydia S., die im Betreuten Wohnen des Evangelischen Seniorenzentrum Potsdamer Bürgerstift lebt. Nach fünf Minuten entdeckt die 92-Jährige Lydia S. ihren Besuch. Sie winkt, legt ihre Serviette beiseite und ermahnt ihre Tischnachbarin, die Kuchengabel für den Pflaumenkuchen zu benutzen. Dann steht sie auf und geht geradewegs zu Christine A., begrüßt sie und hakt sich ein. Gemeinsam überlegen sie, was sie an diesem sonnigen Herbsttag machen könnten. Die Idee in den Garten mit Obstbäumen zu gehen, gefällt Lydia S.. Dass sei nicht immer so. „An manchen Tagen ist es schwer an Frau S. heranzukommen“, sagt Christine A.. Lydia S. leidet an Altersdemenz. An Vergangenes kann sie sich gut erinnern, doch nach und nach kann sie sich Gegenwärtiges kaum noch merken und sich häufig nur schlecht im Alltag orientieren. Manchmal erkennt sie Christine A. nicht und hat von dem was ihr vorgeschlagen wird keine Vorstellung. Eine Stunde haben die beiden Frauen für sich. Heute gehen sie Spazieren. Christine A. hat bunt bestickte Stoffbälle mitgebracht. Im Garten wird sie später mit Lydia S. etwas die Motorik der Finger trainieren. An anderen Tagen schauen sich die beiden Bilder an, spielen „Mensch ärgere dich nicht“ oder erzählen. Außerdem lernt Christine A. handarbeiten und kochen. „Wenn ich etwas nicht kann, dann erklärt mir Frau S. wie das geht.“ Natürlich sei das nur ein Vorwand, die alte Dame zum Denken anzuregen. Christine A. mag alte Menschen. Bereits Anfang der 60er Jahre arbeitete sie zunächst in der Altenpflege und später in einem Behindertenheim. Das war in Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt. Nach der Scheidung kam die gebürtige Sächsin ins Brandenburgische, wo ihre Mutter eine Wirtschaft betrieb. Sie sattelte um, legte 1969 die Prüfung zum Gaststättenleiter ab und eröffnete ihr eigenes Lokal. Nach längerer Krankheit musste sie Ende der 90er ihr Geschäft aufgeben. Beruflich ging es nicht mehr weiter. Tränen steigen in ihre Augen. Aufgeben wollte sie nicht. Also lies sie sich vor vier Jahren zur Altenpflegerin ausbilden. Doch eine Arbeit fand sie nicht. Zwar arbeitet die 59-Jährige nun nicht hauptamtlich in diesem Bereich, aber ehrenamtlich und wie es scheint mit voller Hingabe. Neben Lydia Schulz betreut Christine A. noch andere alte Menschen. Durch die Beratungsstelle für Alzheimerkranke und deren Angehörige des „Emmaus-Hauses“ erfuhr die Altenpflegerin vom Angebot „Betreuung zu Hause“, das Angehörigen von an Demenz Erkrankten stundenweise Entlastung schafft. Mittlerweile gibt es einen so genannten Helferinnenkreis, dem sich Frauen zwischen zwanzig und 59 Jahren angeschlossen haben und so wie Christine A. mehrmals wöchentlich Familien besuchen. „Die Angehörigen können sich dann Zeit für sich nehmen oder Termine erledigen“, sagt Andrea Kaatz von der Beratungsstelle des Emmaus-Hauses. So müssen sie sich keine Sorgen um ihre Verwandten machen, ob sie allein klarkommen. Die Helferinnen bekommen eine Weiterbildung, erfahren etwas über die Bedürfnisse und das Krankheitsbild von an Demenz erkrankten Menschen. Auch lernen sie sich abzugrenzen. Ihre Probleme beim Verlassen des ihnen Anvertrauten hinter sich zu lassen. Im Rahmen des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes erhalten die Helferinnen eine Aufwandsentschädigung von sieben Euro pro Stunde. Am Ende der gemeinsamen Zeit trägt Christine A. in eine Tabelle, eine Art Tagebuch, wann sie bei Lydia S. war, was sie gemeinsam unternommen haben. Manchmal trinken sie noch einen Tee, dann geht Christine A., sinnt über das Gewesene nach und freut sich über ein Lachen, das ihr Frau S. an diesem Nachmittag geschenkt hat. Beratungsstelle für Alzheimerkranke und deren Angehörige im Evangelischen Seniorenzentrum Potsdam „Emmaus-Haus“. „Betreuung zu Hause“ sucht für den im Dezember beginnenden Helferinnenkurs noch Interessierte. Ansprechpartnerin Andrea Kaatz, Telefon: (0331) 2845 – 7405.

Ulrike Strube

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