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PRO & Contra: Sollte Potsdam den 8. Mai als Tag der Befreiung feiern?

PRO & Contra Tag der „Befreiung“ oder des „Kriegsendes“? Diese Frage beschäftigte bereits den Hauptausschuss, denn das Jahresprogramm der Stadtverwaltung sah für den 8.

PRO & Contra Tag der „Befreiung“ oder des „Kriegsendes“? Diese Frage beschäftigte bereits den Hauptausschuss, denn das Jahresprogramm der Stadtverwaltung sah für den 8.Mai „Kriegsende“ vor. Die Stadtverordneten jedoch sprachen sich für „Befreiung“ aus. Und so ist es nun: Potsdam wird den „60Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“ begehen. Eine gute Entscheidung. Wichtig bleibt bei der Bewertung des Befreiungbegriffs die Perspektive der Betroffenen. Diese darf nicht übergangen werden. Da ist die von Sowjetsoldaten vergewaltigte deutsche Frau. Ihr gegenüber ist die Verwendung des Befreiungsbegriffs zynisch, die Tatsache, dass sie objektiv von der braunen Diktatur befreit wurde, zu akademisch. Da ist der jüdische Überlebende, den sowjetische Soldaten zwischen den Baracken von Auschwitz auffanden. Seine Perspektive schreit nach dem Wort Befreiung. Es funktioniert nicht, das Leid der Frau und des jüdischen KZ-Insassen gegeneinander aufzurechnen. Jeder hat für sich recht. Wenn jemand das Gegenteil behauptet, dann ist das eben so. Es ändert nichts an der individuellen Bewertung seitens der Betroffenen. Doch es müssen auch Bewertungen jenseits der individuellen Perspektiven möglich sein. Nicht als summa summarum aller Einzelperspektiven, denn es sind nie alle Einzelperspektiven beisammen. Sondern als politischer Orientierungsmaßstab durch eine Entscheidung. Potsdamer Stadtverordnete sind vor dieser Entscheidung nicht zurückgewichen. Wer „Kriegsende“ zu seiner Terminologie macht, beschreibt ein Faktum, verweigert sich jedoch der Entscheidung. Oder er hat sich entschieden, und meint mit „Kriegsende“ eigentlich „Niederlage“, sagt dies aber nicht. Diese Zeilen richten sich gegen den Begriff „Kriegsende“, insofern er „Niederlage“ meint, denn das Wort enthält die Perspektive der deutschen Täter. Die Zerschlagung des Nazi-Staates in Berlin war die historische Aufgabe der Sowjetsoldaten. Und sie haben sie erfüllt. Ihr Blutzoll erzwingt Respekt. Guido Berg Wieso sollte man den 8. Mai nicht als „60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“ begehen? Weil es eine grundsätzliche Frage aufwirft: Wer wurde eigentlich befreit. Die Häftlinge in KZs und Gefängnissen wurden befreit. Frontsoldaten und Volkssturm wurden von einem längst verlorenen Krieg befreit. Die wenigen in Deutschland vor den Nazis versteckten Juden wurden befreit. Auch die Einwohner der deutschen Großstädte wurden befreit, von der Angst vor dem Bombenkrieg. Ein schaler Beigeschmack bleibt aber, wenn man den Tag als Befreiung der Deutschen begeht. Davon kann nur die Rede sein, wenn die große Mehrheit der Deutschen vorher unterdrückt wurde. Doch den Deutschen wurde 1933 Hitler nicht aufgezwungen. Sicher, die Opposition war schon vor den Wahlen ausgeschaltet worden, doch Hitler bekam eine Mehrheit. Und auch wenn die Gleichschaltung folgte und es keine weiteren Wahlen gab, der Nationalsozialismus wurde von einer breiten Mehrheit in Deutschland getragen. Von den Rassengesetzen über die Pogromnacht bis zum „totalen Krieg“. Es gab einen Konsens bezüglich Antisemitismus und Eroberungskrieg. Auch der Widerstand des 20. Juli 1944 hatte in der Wehrmacht keine Rückendeckung. Natürlich sagen heute viele Zeitzeugen, sie wären ins Gefängnis gekommen, wenn sie den Mund aufgemacht hätten. Doch Widerstand war möglich. Das zeigt der Protest der Frauen in der Berliner Rosenstraße, die ihre jüdischen Männer frei bekamen. Das NS-System hatte Angst davor, dass die Stimmung kippt. Aber sie kippte nicht, zwölf Jahre nicht. Am 8. Mai wurden die Deutschen also höchstens von sich selbst befreit. Zudem wissen wir heute, was sich in den von der Roten Armee eingenommenen Gebieten abspielte. Nach einer Welle von Vergewaltigungen wurde im Osten ein politisches System etabliert, das alles andere war als eine freiheitliche Demokratie. Bleiben wir doch einfach beim „60. Jahrestag des Kriegsendes“, das wird allen gerecht. Jan Kixmüller

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