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Homepage: Streit um den freien Willen

Zwei Potsdamer Philosophen über den Disput zwischen Geisteswissenschaft und Hirnforschung

Über kein philosophisches Thema wurde in den letzten Jahren so viel gestritten, wie über den freien Willen des Menschen. Inzwischen äußert sich auch die Hirnforschung zu dieser Frage. Neurowissenschaftler wie Gerhard Roth und Wolf Singer haben mit Thesen über den freien Willen die Philosophen herausgefordert. So veröffentlichte Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main, vor drei Jahren ein Buch mit dem fragenden Titel „Ein neues Menschenbild?“. Seitdem wird die Frage auch in den Medien gestellt: Trifft der Mensch wirklich Entscheidungen aus freien Stücken?

Die Potsdamer Philosophie-Professoren Hans-Peter Krüger und Hans Julius Schneider bejahen dies. Für Philosophen zeichnet der freie Wille den Menschen aus. Weil der Mensch einen freien Willen hat, kann er auch Verantwortung für sein Tun übernehmen. Der Mensch muss sich dazu selbst verstehen. Dies macht ihn einzigartig. Doch viele Hirnforscher widersprechen diesem Menschenbild. So verglich Wolf Singer in einem Interview die menschliche Gesellschaft mit einem Ameisenhaufen. Von Freiheit kann dort keine Rede sein. Für einen freien Willen gibt es keine neurowissenschaftlichen Belege, sagen die Hirnforscher. Die Folge ist eine rege Debatte zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern. Hans-Peter Krüger und Hans Julius Schneider erläuterten den PNN die Hintergründe.

Ein wichtiger Aspekt seien neue Fortschritte in der Hirnforschung, meint Hans-Peter Krüger. Verbesserte Methoden erlauben Einblicke in die neuronalen Vorgänge im Gehirn. Sie zeigen, welche Hirnareale bei einem Gedanken oder einer Handlung aktiv sind. Damit hätten sich neue Fragen gestellt, so Prof. Krüger. Was geschieht im Gehirn, wenn wir eine freie Entscheidung treffen? Für Hirnforscher ist eine solche Entscheidung das Ergebnis elektrischer und chemischer Prozesse. Für ihr Argument ist wichtig, dass diese Hirnprozesse unbewusst ablaufen. Millisekunden bevor wir uns bewusst entscheiden können, hat das Gehirn schon entschieden. Wir haben weniger Einfluss auf uns, als wir glauben, so die Botschaft der Hirnforscher. Aus der Sicht der Hirnforschung „passieren uns“ Entscheidungen, so wie wir Hunger bekommen oder müde werden. Erst im Nachhinein behaupten wir, die Tat sei aus freien Stücken geschehen. Deshalb sprechen die Forscher Roth und Singer von der „Illusion des freien Willens“.

„Das ist eine sehr missliche Formulierung“, sagt dazu Hans Julius Schneider. Sie erwecke den Eindruck, die Menschen seien Opfer eines Irrtums über sich selbst. So habe ein Betrunkener die Illusion, frei zu handeln. In Wirklichkeit sei er aber das Opfer seiner Trunkenheit. Er handele nicht frei. „Natürlich handeln wir auch mal unüberlegt oder unbewusst“, gibt auch Prof. Krüger zu. Mit Freiheit sei etwas anderes gemeint. Die beiden Philosophen sind sich einig, dass man die Handlungen einer Person nicht auf unbewusste Hirnprozesse reduzieren kann. Es müsse hier einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Person und den Vorgängen im Gehirn geben. Aber sind Hirnprozesse nicht die Bausteine, welche die Handlungen einer Person begründen?

Hier sehen die Philosophen ein Missverständnis. „Hirnforscher betrachten Phänomene durch eine bestimmte Brille“, gibt Prof. Schneider zu bedenken. „Man muss sich erst entschließen, die Person so zu betrachten.“ Dann sehe man aber nur das, was man kausal erklären könne. Im Gehirn lassen sich so Zusammenhänge von Ursache und Wirkung nachweisen. Für diese Aufgabe sind die Methoden der Hirnforschung geeignet. Die Potsdamer Philosophen wenden aber ein, dass der Begriff des freien Willens in einen anderen Kontext gehört. Man bezeichnet damit keine Gehirnprozesse, wie sie im Labor von den Hirnforschern gemessen werden. Sondern etwas, das zwischen sprechenden und handelnden Personen stattfindet. Personen handeln in einem sozialen Ganzen, einer ganzen Welt des Lebens und Erlebens. Freies Handeln, so meint Hans-Peter Krüger, könne es nur in sozialen Zusammenhängen geben. Gerade diese soziale Seite des Menschen spiele in den Experimenten der Hirnforscher jedoch keine Rolle.

Menschen treffen und begründen Entscheidungen. Hier geht es um mehr, als um das Beobachten von kausalen Zusammenhängen. Erst wenn die Person einen sozialen Lernprozess durchlaufen hat, dann sei sie auch frei, sagt Prof. Krüger. Diese Wendung des Arguments zeigt Unterschiede zwischen Philosophie und Hirnforschung. Die Philosophie, meinen die Professoren, bietet ein reichhaltigeres Menschenbild. Naturwissenschaftler müssen im Experiment von der lebendigen Person abstrahieren. Begriffe wie „Geist“, „Seele“ oder „freier Wille“ kommen in dieser Abstraktion nicht mehr vor. Weshalb, erläutert Prof. Schneider: „Diese Begriffe beziehen sich auf etwas, was wir miteinander machen.“ So könne man ein Kind auffordern, sich eine Meinung zu bilden, einen Willen zu entwickeln. Ein Vorgang zwischen Menschen in einer sozialen Situation.

Der Streit beruht also auf unterschiedlichen Beschreibungssystemen. Es sei eine Debatte zwischen akademischen Disziplinen, bestätigt Hans-Peter Krüger. Für ihn ist es wichtig, die Debatte zwischen Natur- und Geisteswissenschaften fortzuführen. Dazu leisten die Philosophen einen Beitrag, der sich mit der Frage „Hirn als Subjekt?“ an die Hirnforscher wendet. Die Potsdamer sehen jedenfalls keinen Grund, den freien Willen für tot zu erklären. Diesen Eindruck könne man nur haben, wenn man auf eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen verzichtet.

Hans-Peter Krüger (Hrsg.): „Hirn als Subjekt? Philosophische Grenzfragen der Neurobiologie“. Akademie Verlag.

Mark Minnes

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