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Landeshauptstadt: Traumatische Vergangenheit

Einer Roma Familie aus dem Kosovo droht die Abschiebung. Ihr Fall wäre seit 2003 der erste in Potsdam, der mit der Rückkehr nach Ex-Jugoslawien endet.

Einer Roma Familie aus dem Kosovo droht die Abschiebung. Ihr Fall wäre seit 2003 der erste in Potsdam, der mit der Rückkehr nach Ex-Jugoslawien endet. In wenigen Minuten beginnt die mündliche Verhandlung vor der zwölften Kammer des Verwaltungsgerichtes Potsdam. Nervös tritt Julferi I. von einem Fuß auf den anderen. Die folgenden Minuten werden über ihre Zukunft und die ihrer Familie entscheiden – ob sie in der Bundesrepublik Deutschland bleiben darf oder nicht. Vor drei Jahren fanden Julferi und Muhamed I. mit ihren drei Kindern Schutz vor den Auseinandersetzungen im Kosovo. Die Chancen der fünf Menschen stehen schlecht. Bereits im Juli 2002 hatte das Bundesamt ihren Antrag auf Asyl sowie Anerkennung als politische Flüchtlinge abgelehnt. Die I.s sind Roma aus dem Kosovo und erst nach dem offiziellen Kriegsende geflohen. Den Krieg überlebten sie, erzählt die Familie, in einem Erdloch. Nach dem Einmarsch der NATO-Truppen kehrten sie in ihr Haus zurück. Doch hatte sich die Situation besonders für die Roma nicht entspannt, wie Muhamed I., dem Einzelrichter erzählen wird. Dann kamen Kämpfer der 1992 gegründeten albanischen Befreiungsbewegung UCK. Unter Gewaltandrohung habe die Familie „innerhalb von fünf Minuten das Haus verlassen müssen.“ Die dunkelhäutige Julferi I. zittert am ganzen Körper, als sie von dem Erlebnis berichtet: „Als die Männer unseren Sohn sahen, drohten sie, mir ein weißes Kind zu machen“. Zunächst habe sich die Familie im Kosovo durchgeschlagen, dann seien sie nach Belgrad geflohen. Wegen ihrer dunklen Hautfarbe habe man sie beschimpft und ständig vertrieben. „Wir stehen zwischen den Serben und Albanern, keiner will uns“, sagt Muhamed I. und weist darauf hin, dass er vor einer möglichen Rückkehr seiner Familie Angst habe. Im Laufe der eineinhalbstündigen Verhandlung weist I.s Rechtsbeistand immer wieder auf die großen existentiellen Probleme besonders für Angehörige ethnischer Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien hin: Ausgrenzungen, Vertreibungen und keine Verdienstmöglichkeiten. „Das Durchschnittseinkommen beträgt derzeit etwa 150 Euro, während sich das Preisniveau dem anderer europäischer Länder angleicht", zitiert der Anwalt aktuelle Pressemeldungen, Berichte von Menschenrechtsorganisationen und des Amtes des hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR). Zudem lebe dort knapp die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die wirtschaftliche und soziale Lage stelle sich für Angehörige der Bevölkerungsgruppen der Roma „noch problematischer“ dar. Die Roma im Kosovo seien zu fast einhundert Prozent arbeitslos. Die Beschäftigungslage werde im Hinblick auf die allgemeine Diskriminierung der Minderheiten als katastrophal angesehen, das betreffe neben dieser Volksgruppe auch Angehörige der Ashkali und Ägypter. Eigentlich unmöglich sei zudem die Inanspruchnahme sozialer Dienste, wie psychotherapeutischer Behandlungen, die nicht hinreichend angeboten werden können und auch „mittellosen Angehörigen ethnischer Minderheiten nicht zustehen“. Dabei benötige die Familie auch weiterhin therapeutische Hilfe, erläutert Annette Flade, Ausländerseelsorgerin des evangelischen Kirchenkreises Potsdam, die die Familie seit ihrer Ankunft betreut. Julferi I. und ihre zehnjährige Tochter leiden unter schweren Traumatisierungen, was ein Gutachten des Süd-Ost-Europa-Zentrums Berlin bestätigt. Da es sich um „keine Einzelschicksale“ handelt, wird das Gericht unter anderem diesen Aspekt der psychischen Erkrankung nicht in sein Urteil einfließen lassen. Nach eineinhalb Stunden wird das Verwaltungsgericht ebenfalls die Klage gegen die Bundesrepublik ablehnen. Keinen Einfluss auf das Urteil hatte die Androhung eines Familiensuizids, den der Familienvater und Ehemann begehen werde, falls er zurückkehren muss. „Bevor uns die Serben oder Albaner umbringen, mache ich das.“ Schockiert über das Urteil äußerte sich Annette Flade. Wobei sie einräumt, dass sie nun auf einen positiven Entscheid des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) hofft, wo die Familie Einspruch gegen das Urteil einreichen wird. „Falls das OVG negativ bescheidet, bleibt nur die Hoffnung auf die Anerkennung der Familie aus humanitären Gründen nach Paragraph 53, Absatz 6 des Ausländergesetzes, und dass die hiesige Ausländerbehörde ihren Ermessensspielraum für die Familie ausschöpft.“ Ansonsten verweist die Theologin auf das Inkrafttreten des jetzt verabschiedeten neuen Zuwanderungsgesetzes mit einer Härtefallregelung. Somit könne eine Härtefallkommission auch für Brandenburg geschaffen werden. „Diese Familie ist meines Erachtens ein Härtefall, der in einer Fachkommission beurteilt werden sollte“, ist sich die Babelsberger Seelsorgerin sicher. Laut Stadtverwaltung gab es weder 2003 noch in diesem Jahr Abschiebungen in den Kosovo. Auch sei das letzte Wort im Fall der Familie I., die in einer Wohnung im Süden der Landeshauptstadt lebt, noch nicht gesprochen. Aktuelle Zahlen konnten seitens der Stadt nicht gegeben werden, lediglich der Hinweis, dass die Hauptgruppen der Schutzsuchenden derzeit aus Vietnam, aus der Türkei, aus Kamerun sowie aus Indien kommen.

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