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Landeshauptstadt: Überall Moma-Feeling

Freundlich, niveauvoll, schmackhaft: Die 2. Potsdamer Kunst-Genuss-Tour konnte süchtig machen

An der künstlerischen Qualität, die zu sehen war, lag es nicht, dass sich am Samstagabend dem Gefühl nach weniger Genusssüchtige auf den Weg machten als im letzten Jahr. Denn die war staunenswert, wie die Präsentation der Landessammlung moderner Kunst im Kunstraum in der Schiffbauergasse zeigte. Ein bisschen Moma-Feeling war zu spüren. Weil das Cottbusser Dieselkraftwerk gerade saniert wird, kann man Fotografien und DDR-Positionen sehen, die abseits des SED-Mainstreams liegen. Oder Malte Brekenfeld bei Sperl im Holländerviertel: Welche Fantasie, welche farbigen Geschichten. Beide Vernissagen waren alleine schon ein Leckerbissen.

Die temporäre Galerie Q 5 in der Kurfürstenstraße präsentierte mit Torsten Sachse ein scheues Ausnahmetalent, das die Mittel der Bleistiftzeichnung auf die große Leinwand überführt hat.

Das Künstler- und Gründerzentrum in der Puschkinallee wirkte aufgeräumter denn je. Das Restaurantchen Gusto nahm mit Italienischem Stil die Künstlerschar bei der Hand und führt sie einen Schritt weiter. Die Potsdamerin Beret Hamann hat einen ganzen Satz gemacht. Sie sammelt in der wundersamen Aktion „Fluss-Schöpfung“ aus ganz Deutschland Wasser aus Flüssen und die Geschichten dazu. Konzeptkunst, die Menschen miteinander und mit ihrer Landschaft bekannt machen.

Volker März großartiges Kafka-Projekt im Kunsthaus strotzt vor Irrsinn, Bildung und Kunstfertigkeit. Seine bemalten Tonfiguren vom Dichter sind in Gruppen, auf Fotos oder als Mobilé zu sehen. Kafka wird vollständig dekonstruiert, ja lächerlich gemacht, um den falschen Mythos zu zerstören.

Skurriles: Wie das Kulinarium, das die nun obdachlosen Künstler aus der Panzerhalle in einem leeren Ladenlokal in der Charlottenstraße inszenierten. Eine Kunst-Teller-Tafel. Poetisches von Robert Gernhard, wie es Schauspieltalent Moritz Führmann zur Finissage in der Galerie Ruhnke vortrug. Oder nie zuvor gehörte Gedichte von Marcel Kirf in der Galerie Art Market, zu später Stunde vom Publikum noch einmal gefordert. Herausragende Bilder: Die Venedig-Fotos von Roger Drescher. Ein Großer, der in Potsdam vom Ruhm unbehelligt bleibt. Oder die Baby-Ölporträts von Daniel Sambo-Richter. Hier auch die Versteigerung von kleinen Formaten, die zur unterhaltsamen Performance geriet. Wie viel ist den Besuchern Kunst wert, wenn die Preise alle Schnäppchenqualität besitzen? Ein kleiner Blumenstrauß des verstorbenen Karl Raetsch für 40 Euro. Die Augen der Besucher fixieren betreten die Fußspitzen, als ihnen die Germos, Lüders oder Chmuras vorgeführt werden. Dennoch, es wurden sehr günstige und tolle Werke ersteigert. Der vor Kraft strotzende Menno Veldhuis malte spontan Porträts für einen Zwanziger. Fünfzehn Personen umringten seinen Tisch, in Minuten ist das Abbild fertigt. Großes Lob der Umstehenden.

Diese Genusstour kann süchtig machen. Vielleicht kann im Programm die eine oder andere Fischfütterung oder Planetenschau überprüft werden. Wichtig aber ist, dass Potsdam sich auf liebevoll hohem Niveau als lebendige Kunststadt zeigte. Führungen, die vom Hauptorganisator Stadtkontor angeboten wurden, brachten Fremde so nah wie sonst nie ins kulturelle Leben. Und das bis spät in die Nacht. Überall wurde man freundlich erwartet, jedes Haus war froh, sich von der besten Seite zu zeigen. Dazu passt das gastronomische Angebot, das so ausgefallen wie schmackhaft war. Sushi im Verein Bildender Künstler (BVBK), Schafsdönerspießchen in der Schiffbauergasse, oder Molekularküche vom Hotel am Jägertor im Kunstverein, die die Kunst aus dem Wald an den Wänden effektvoll einräucherte. Ach, nur das Wetter war kein Genuss. Wer sich aber einmal auf den Weg gemacht hatte, der war viel zu eingenommen, um darüber zu klagen.

Matthias Hassenpflug

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