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INTERVIEW MIT PROF. GÜNTER ESSER, KINDER- UND JUGENDPSYCHOLOGE: „Vermeidungsverhalten ist der Anfang vom Ende“

Jeder will ab und an mal seine Ruhe. Wann ist der Wunsch nach Rückzug aus Psychologensicht krankhaft?

Jeder will ab und an mal seine Ruhe. Wann ist der Wunsch nach Rückzug aus Psychologensicht krankhaft?

Krankhaft ist ein Rückzug, wenn man seine alltäglichen Pflichten nicht mehr erfüllen kann. Wenn jemand deshalb zum Beispiel nicht mehr zur Schule geht, Außenkontakte verliert und völlig isoliert wird.

Wie viele Betroffene gibt es schätzungsweise?

Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet unter der so genannten Agoraphobie. Dass Leute völlig zu Hause bleiben, wie ein „Hikikomori“, kommt seltener vor. Das sind die schweren Fälle.

Warum ziehen sich die Jugendlichen zurück?

Meistens sind es Ängste, die eine Rolle spielen: Zum Beispiel die Angst vor Gedränge, in Kaufhäusern oder auf Plätzen. Dann kann auch Angst vor anderen Personen insgesamt dazukommen. Das Problem ist, dass man dann generalisiert: Durch das Vermeidungsverhalten steigert sich die Angst. Man setzt sich der Situation nicht mehr aus und macht nicht mehr die Erfahrung: So schlimm ist das alles ja gar nicht. Dadurch verstärkt sich die Angst und es kommt dazu, dass am Ende jemand ganz zu Hause bleibt, sich nicht mehr heraustraut.

Wie erkennt man als Freund erste Anzeichen für eine solche Erkrankung?

Wenn man merkt, dass sich jemand immer mehr zurückzieht, Situationen mit anderen Leuten ihm unangenehm sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist sozusagen der Anfang vom Ende. Denn Vermeidung führt zur Verschlimmerung.

Wie kann man als Freund dann helfen?

Meistens ist es leider so, dass Verwandte und Freunde den Betroffenen aus viel Verständnis in seinem Vermeidungsverhalten bestärken: Ihm zum Beispiel die Lebensmittel holen, damit er zu Hause bleiben kann oder es ihm zu Hause angenehm und gemütlich machen und damit eigentlich das Gegenteil bewirken. Richtig wäre es aber, zu versuchen, ihn zurückzuführen. Ihn ermutigen: Besuch mich doch mal, wir treffen uns hier. Das können Dinge sein, die dem anderen Spaß machen. Wenn er dann sieht, dass das funktioniert, dann lernt er daraus, dass es nicht soo schlimm ist. Angst muss man immer mit Konfrontation behandeln. Man muss erfahren, dass man zwar Angst hat, dass diese Angst aber auch wieder weggeht.

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