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Landeshauptstadt: Vorbeugen statt Strafen

Täter-Opfer-Ausgleich: Potenzial nicht ausgeschöpft

Als „vollkommen unsachlich“ hat der für den Bereich Täter-Opfer-Ausgleich für Jugendliche und Heranwachsene zuständige Mitarbeiter des Diakonischen Werkes Potsdam, Matthias Beutke, die gegenwärtige Debatte um ein schärferes Jugendstrafrecht bezeichnet. In der Diskussion richte sich der Focus nur auf die Täter, die Opfer würden außer Acht gelassen. Birgit Schlobben vom Verein „Horizont“, der in Nord-West-Brandenburg für Opfer-Täter-Ausgleich zuständig ist, ergänzte gestern bei einem PNN-Gespräch, es könne in der Debatte nicht ausschließlich um Sanktionen im Zuge von Straftaten gegenüber den Tätern gehen. Vielmehr müsse gerade bei den jugendlichen Tätern auch Prävention und Pädagogik eine Rolle spielen.

Ein Täter-Opfer-Ausgleich könne dies leisten, er beuge erneuten Taten vor und statte den Täter mit mehr Einfühlungsvermögen aus. Beutke: „Ein Täter-Opfer-Ausgleich führt zu einer geringeren Rückfall-Quote.“ Der Überfall zweier Jugendlicher auf einen älteren Mann in der Münchener U-Bahn, der die Debatte über schärfere Strafen auslöste, stelle Beutke zufolge bereits ein sehr hohes Kriminalitätsniveau dar. Täter-Opfer-Ausgleich setzte bereits früher an, bei leichten ersten Vergehen, und könne beim Täter eine Mentalitätsveränderung auslösen. „Unsere Arbeit hat eine nachhaltige Wirkung“, so Birgit Schlobben: „Die Täter setzen sich grundsätzlich mit dem auseinander, was sie getan haben.“

Das Opfer profitiere vom direkten Gespräch mit seinem Peiniger, weil es erfahren kann, „wieso, weshalb, warum“ es zu der Tat kam, so Birgit Schlobben. Der Vorteil des Ausgleichs für die Opfer sei der Wertgewinn, den sie erfahren. Vor Gericht sei das Opfer nur der „geschädigte Zeuge“. Im Täter-Opfer-Ausgleich stehe es dem Täter gleichberechtigt und aktiv gegenüber.

Birgit Schlobben und Matthias Beutke sehen das Potenzial des Täter-Opfer-Ausgleichs in Deutschland längst nicht als ausgeschöpft an. Bei etwa zwei Prozent der ermittelten Straftaten werde er in Deutschland angewendet – bei zehn Prozent der Fälle wäre er jedoch erfolgversprechend.

187 Fälle hat das Diakonische Werk im vergangenen Jahr bearbeitet. In 54 Prozent der Fälle kam es zu einem Gespräch zwischen Opfer und Täter. Bei 18 Prozent lehnten die Opfer, bei vier Prozent die Täter ein Gespräch ab. In zwei Prozent der Fälle kam es zu einer schriftlichen Entschuldigung. Finanziert wird der Täter-Opfer-Ausgleich durch das Jugend- und das Justizministerium Brandenburgs. Allerdings werden Beutke zufolge jährlich nur pauschal 120 Fälle mit einem jährlich gleich bleibenden Betrag bezahlt. Dass die Fahr- und Portokosten in jedem Jahr steigen, werde in der Finanzierung nicht berücksichtigt.

Die Mehrzahl der Fälle, die für einen Täter-Opfer-Ausgleich geeignet sind, meldet die Staatsanwaltschaft und die Jugendgerichtshilfe an die Ausgleichsstelle. In zwölf Fällen kamen 2007 die Täter selbst – aufgrund ihres schlechten Gewissens. Guido Berg

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