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Landeshauptstadt: Waschen, schneiden, weitergeben

Claudia Meinhardt hat den Friseursalon Walsleben in Bornim übernommen. Ihre Familie führt ihn seit 1871

Wer kann authentisch ein Hotel beschreiben, ohne wenigstens eine Nacht in ihm zugebracht zu haben? Ohne die Härte der Matratze zu fühlen, das Tropfen des Wasserhahns zu hören, das Bier aus der Minibar zu trinken? Niemand! Und geht es um einen Friseurladen, heißt es dann nicht, wohlan, hergegeben die über Wochen gewachsenen Locken, geopfert der Schere und der Wahrhaftigkeit des Berichts? Natürlich!

Also Platz genommen und sich drauf eingelassen. „Mit Waschen bitte!“ Claudia Meinhardt, seit dem 10. Januar Inhaberin des Friseursalons Walsleben in Bornim, umfasst routiniert den Hinterkopf und senkt ihn in ein Waschbecken. Es ist der Moment, der entscheidet über Tortur oder Genuss. Wird der Kopf sein Gewicht auf der Keramik ablegen, kann der Körper entspannen und die Seele die Kopfhautmassage genießen? Oder wird die Halsmuskulatur den nach hinten übergebeugten Kopf halten, etliche schier endlose Minuten lang und wird der Mund die Frage „Zu kalt oder zu warm?“ kurzatmig mit „wunderbar“ beantworten und „Machen Sie schon!“ meinen?

Sie kann es. Der Kopf liegt fest auf, Halsstarre und Schnürgefühl am Kehlkopf bleiben aus. Und das Schönste: Claudia Meinhardt ist schnell, jeder Handgriff sitzt. Alte Schule? Das wäre bei einer 33-Jährigen der falsche Ausdruck. Aber immerhin: Seit 16 Jahre arbeitet sie als – Achtung, wichtig! – Friseurin nicht etwa „Friseuse“. Wenn sie „Friseuse“ hört, stellen sich ihr „die Nackenhaare auf“. Die unaufdringliche Professionalität der Frau, die mit ihren rotgefärbten Haaren und der grünen Brille heitere Modernität ausstrahlt, könnte aber auch von der langen Friseurtradition in ihrer Familie herstammen. Claudia Meinhardt betreibt den kleinen Friseurladen an der Potsdamer Straße in der fünften Generation.

Bereits 1871, es ist das Jahr der Gründung des Deutschen Kaiserreichs, kam ihr Ururgroßvater Friedrich Walsleben aus dem Krieg gegen Frankreich nach Bornim und ließ sich als Barbier, Perückenmacher und Kaufmann nieder. In seiner Barbierstube kürzte er nicht nur Haare, sondern zog auch Zähne, wenn es sein musste. Bisweilen setzte er sich aufs Fahrrad und fuhr zum Bartschneiden zur Kundschaft. Ab 1808 führte Fritz Walsleben, Sohn des Gründers, den Salon. Nach dessen frühem Tod übernahmen dessen Frau Helene und deren Tochter Margarete die Regie in dem kleinen Friseurladen, der seit 1927 auch der weiblichen Kundschaft offen stand. Weiter ging es 1945 mit Alfred Walsleben, der Großvater von Claudia Meinhardt, der das Zepter – oder besser Schere, Spiegel und Brennschere – 1980 an seine Tochter Marlies weitergab. Brennschere? Marlies Seemann lacht, während sie einer Kundin die Haare färbt. Sie habe noch mit einer Brennschere ondulieren müssen, weil Kunden Langhaardauerwellen von ihr wollten, um auszusehen wie Angela Davis ... Diese Zeiten gab es, da US-Kommunistinnen hierzulande das Schönheitsideal prägten. „Das hat man alles mitgemacht“, sagt die Grande Dame des Salons und dreht ihrer Kundin einen Lockenwickler ins Haar.

Ohne Wehmut und mit großem Stolz hat sie, die sie die vierte Generation repräsentiert, den Salon Walsleben an Tochter Claudia Meinhardt übergeben. Stammkunden, „die lieben und netten unter ihnen“, werde aber noch weiterhin von ihr frisiert. „Von heute auf morgen aufhören, das kann ich nicht“, sagt die 65-Jährige.

Die grüne Farbe an den Wänden ist neu, auch das Sofa, auf dem wartende Kunden gemütlich Platz nehmen können, geht auf eine Idee von Claudia Meinhardt zurück. Die Friseurtische jedoch sind 20 Jahre alt, was ihnen niemand ansehen kann, so sehr hat die neue Salonchefin sie geschrubbt. Die ganze Familie hat mit Hand angelegt, um den Laden für die Neueröffnung auf Hochglanz zu bringen. Zur Eröffnungsparty kam halb Bornim und darüber hinaus, eine Zwei-Liter-Flasche Sekt, die im Regal steht, zeugt noch von dem Ereignis.

Der Arbeitsweg von Claudia Meinhardt ist nicht lang, die ganze Familie wohnt in dem großen Haus, in dem die Bornimer seit Generationen ihre Haare lassen. So kann auch die dreijährige Tochter von Claudia Meinhardt hin und wieder bei Oma und Mama vorbeischauen. Ist sie die sechste Generation im Friseursalon Walsleben? „Nur wenn sie will“, versichert ihre Mutter.

Nach dem Schnitt: Der Blick in den Spiegel, den Claudia Meinhardt in Halshöhe nach links und rechts wandern lässt, beweist, dass sie ihr Handwerk versteht: Die Ohren sind frei. Aber nicht so frei, dass man die Segelohren erkennt...

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