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Landeshauptstadt: Wie es ist, blind zu sein

Stephanie Seidel von der Beratungsstelle für Blinde zum „Tag des weißen Stockes“ am 15. Oktober

Stephanie Seidel von der Beratungsstelle für Blinde zum „Tag des weißen Stockes“ am 15. Oktober Warum ist es notwendig, den „Tag des weißen Stockes“ zu begehen? Es geht darum, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was es heißt blind zu sein. Diese Aufklärung ist notwendig, weil viele es sich nicht vorstellen können. Ich hab’s selbst erlebt, als ich an der Universität Potsdam studierte. Da hat mir einer gesagt: „Sie sind der erste blinde Mensch, der mir über den Weg gelaufen ist.“ Es geht aber auch darum, dass sich Behörden mit dem Thema befassen, damit den Belangen blinder Menschen besser Rechnung getragen wird. „Tag des weißen Stockes“ – welche Bedeutung hat der Stock als Hilfsmittel und Symbol? Es gibt mehrere Arten weißer Stöcke. Einmal dient er als Stützstock für Ältere, die kennzeichnen wollen, dass sie blind sind. Sie benutzen statt des braunen Stockes einen weißen. Und dann gibt es den weißen Taststock. Das ist auch ein Kennzeichen für Bauarbeiter und Verkehrsteilnehmer: Aha, da läuft eine Blinde. Und schließlich gibt es den Blinden-Langstock. Bei diesem ist es so, dass viele Blinde ohne ihn gar nicht mehr aus der Wohnung gehen könnten. So ist es bei mir auch. Ich könnte gar nicht alleine raus, wenn ich diesen Blinden-Langstock nicht hätte. Mit dem ertaste ich, was vor mir ist: Ich pendle damit und ertaste, ob es Hindernisse gibt oder Stufen. Wenn ich in die Straßenbahn einsteigen will, kann ich damit die Treppen ertasten. Ich habe oft erlebt, wenn ich mit meinem Stock in der Nähe von Baustellen war, dass die Bauarbeiter gesagt haben: „Halt, bleiben Sie stehen, wir helfen Ihnen.“ Und dann haben sie mich um die Baustelle herumgeführt. Um den Blinden-Langstock benutzen zu können, ist ein Mobilitätstraining notwendig. Das dauert mindestens 60 Stunden. Erst lernen die Blinden, sich in Räumen zurechtzufinden, später vor der Tür im eigenen Wohnviertel. Die Stocktechnik muss gelernt werden, vor allem das Pendeln. Beim Laufen um den Block sind Einfahrten zu ertasten, kleinere Straßen zu überqueren, später Ampelkreuzungen hinzu und das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel. Der Langstock und das Training mit ihm bezahlen die Krankenkassen. Der weiße Stock dient auch als Verkehrsschutzzeichen. Denn wenn ein Blinder in einen Unfall verwickelt und nicht gekennzeichnet ist, kann der Verursacher die Schadensersatzleistung verweigern. Jeder „Tag des weißen Stockes“ hat ein Jahresmotto... „Wie es ist, blind zu sein“, lautet es dieses Jahr. Ich könnte Ihnen erzählen, wie ich die Umwelt wahrnehme. Ich habe noch einen kleinen Sehrest. Mit dem kann ich noch eben Farben erkennen. In diesem Raum ist es zu dunkel, aber ich kann sehen, dass die Tischdecke hell ist und dass Sie was Dunkles tragen. Meine Wahrnehmung ist eine andere, aber ich lebe nicht in eine anderer Welt. Als Blinde muss ich alles nach und nach abtasten. Da ich nicht alles sehen kann wie Sie, muss ich alles mit den Händen erfassen. Farben kann sich ein vollständig Blinder nur abstrakt vorstellen, genauso wie ich mir eine Biene abstrakt vorstellen muss. Sind Blinde durch die Computertechnik nicht noch mehr ausgegrenzt? Nein im Gegenteil, durch die Computertechnik kann ich selbstständig Briefe schreiben. Über die Braille-Zeile und die Sprachausgabe, die praktisch den Bildinhalt wiedergibt, kann ich erfassen, was auf dem Bildschirm geschrieben steht. Ich kann auch Texte einscannen. Leider sind viele Schreiben von Behörden nicht barrierefrei. Behörden benutzen Vordrucke und machen Eintragungen per Handschrift. Diese kann ich nicht lesen. Sie sind Leiterin der Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte. Welche Angebote unterbreiten Sie ? Wir bieten einmal Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen, beraten über Ansprüche auf soziale Leistungen und Vergünstigungen. Wir beraten auch die Betroffenen, wie sie ihr alltägliches Leben bei Blindheit bewältigen können und welche Möglichkeiten es gibt, ein bisschen Selbstständigkeit wiederzuerlangen durch bestimmte Hilfsmittel. Wir beraten auch die Angehörigen von Blinden. So kommen Eltern mit blinden Kindern und fragen, was es für Spielsachen gibt. Mit Frau Seidel sprach Günter Schenke

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