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Landeshauptstadt: „Wir sehen einen massiven Anstieg“

Marcus Reinert, der Leiter der neuen Antidiskriminierungs-Beratung Potsdam, über rassistische Diskriminierung in Potsdam, Probleme auf dem Wohnungsmarkt und Herabsetzung durch Behörden

Herr Reinert, am 20. Januar hat der Verein Opferperspektive ein neues Beratungsbüro für Betroffene von rassistischer Diskriminierung in Potsdam eröffnet. Ist Rassismus in der Stadt ein Problem?

Klar, das ist wie im gesamten Land Brandenburg ein Problem. 2015 hatte unser landesweit tätiges Büro insgesamt 70 Fälle beraten, davon 25 in Potsdam. Wir haben in der Stadt ein relativ hohes Fallaufkommen, das liegt unter anderem daran, dass wir hier gut verankert sind und guten Zugang zu den Betroffenen haben. Das liegt aber auch daran, dass Potsdam die Stadt mit dem größten Anteil von Menschen mit einer Migrationsgeschichte im Land ist. Deshalb bot sich Potsdam für dieses Modellprojekt an, das auch für uns neu ist: Es gibt bundesweit keine andere Beratungsstelle, die sich auf einen so kleinen lokalen Raum konzentriert, es gibt ansonsten nur Beratungsstellen auf Landesebene.

Was ändert sich dadurch?

Vorher hatten wir nur zwei Teilzeitstellen für ganz Brandenburg, nun haben wir mehr Kapazitäten für die Beratung in Potsdam und können stärker mit Gruppen wie „Potsdam bekennt Farbe“ zusammenarbeiten. Wir haben vor, Veranstaltungen zu machen, zum Beispiel werden wir im März das Theaterstück „Die NSU-Monologe“ nach Potsdam holen. Im Oktober vergangenen Jahres haben wir bereits einen Filmabend über den NSU mit einer Podiumsdiskussion im Thalia Kino organisiert.

Was für Menschen kommen zu Ihnen?

Wir haben das Konzept der aufsuchenden Beratung, das heißt, meistens fahren wir eher zu den Menschen hin, die uns kontaktieren. Dabei handelt es sich um Personen, denen die Eigenschaft „Ausländer“ angedichtet wird, egal ob sie hier geboren wurden oder nicht – das unterscheiden Rassisten nicht.

Was für Diskriminierungs-Erfahrungen machen Ihre Klienten?

Einer unserer Schwerpunkte lag letztes Jahr im Bereich Wohnungsmarkt: Immer wieder gibt es Schwierigkeiten für Betroffene, eine Wohnung zu bekommen oder Konflikte mit anderen Mietern. Ganz aktuell haben wir einen Fall, wo eine Familie von einer anderen Mietpartei täglich belästigt wird: Immer wieder wird geklopft, nachts geklingelt, auf den Fußboden gestampft oder es gibt Beschwerden an den Vermieter wegen Ruhestörung, angeblich weil das zweijährige Kind zu laut schreit. Diese Beschwerden kommen aber auch, wenn das Kind nicht schreit. Es gab auch eine Beschwerde beim Jugendamt, weil die Familie angeblich ihr Kind vernachlässigen würde. Die Wohnungsgesellschaft schickt dann einfach einen Mitarbeiter hin, der sagt: Ihr müsst die Ruhezeiten einhalten. Die Familie selbst spricht schlecht Deutsch und kann nicht klarmachen, was eigentlich los ist.

Wie können Sie in so einem Fall helfen?

Der erste Schritt wäre hier, sich an den Vermieter zu wenden und die Sichtweise der Familie zu vermitteln. Falls der Vermieter sich querstellt, gibt es auch die Möglichkeit eines Beschwerdeverfahrens, um ihn zu zwingen, aktiv zu werden. In manchen Diskriminierungs-Fällen kann man auch Klage wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz erheben. Wichtig ist aber zunächst, den Betroffenen einen Raum zu bieten, in dem sie über Diskriminierungs-Erfahrungen sprechen können.

Wie machen Sie das? Sie haben ja sicher Klienten mit sehr unterschiedlichen Sprachen?

Uns steht ein großer Pool von Dolmetscherinnen und Dolmetschern zur Verfügung, auch für nicht so häufige Sprachen wie Tigrinya, was in Eritrea gesprochen wird.

Was für Probleme haben die Betroffenen noch?

Ein großer Bereich umfasst Freizeit und den Zugang zu Dienstleistungen, zum Beispiel werden Geflüchtete oft pauschal nicht in Diskotheken hereingelassen oder bekommen keine Mitgliedschaft in Fitnessstudios. Dann gibt es noch Diskriminierung durch Behörden und Polizei, zum Beispiel wurde kürzlich einem Vater vom Jugendamt untersagt, mit seinem Kind den Koran zu lesen. Aus juristischer Sicht ist es oft schwerer, gegen behördliche Diskriminierung vorzugehen, da hier das Gleichbehandlungsgesetz nicht gilt. Deshalb fordern wir auch, dass der Landtag ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet.

Wie hat sich die Diskriminierung in Potsdam und Brandenburg in den letzten Jahren entwickelt?

Wir haben nicht wirklich Zahlen, um das abzubilden, aber natürlich gibt es Statistiken zu rechter und rassistischer Gewalt, und da sehen wir einen massiven Anstieg: Von 2014 zu 2015 haben sich die Übergriffe in Brandenburg fast verdoppelt. Wir konnten auch feststellen, dass sich die Stimmung gegenüber Muslimen deutlich verschärft hat, zum Beispiel wurde im Oktober 2016 der Schweinekopf vor der Al Farouk-Moschee in Potsdam gelegt.

Die Fragen stellte Erik Wenk

Marcus Reinert (40) ist seit 20. Januar Leiter der Beratungsstelle für Betroffene von rassistischer Diskriminierung in Potsdam. Der Jurist ist der einzige Mitarbeiter der Beratungsstelle.

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