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© Andreas Klaer

Mit Wirbel und ohne Nelken: Der Potsdamer Fanfarenzug wird 60 Jahre alt

Der Potsdamer Fanfarenzug-Verein ist einer der erfolgreichsten in Deutschland – und wird 60 Jahre alt. Ein Besuch beim Nachwuchstraining.

Ein Frühlingsnachmittag, im Park am Treffpunkt Freizeit entspannen Spaziergänger, eine Nachtigall singt. Und dann das: „Achtung, Haltung, Arm in die Hüfte, gerade stehen!“ Janette Pankonin, Übungsleiterin für den Bläsernachwuchs im Fanfarenzug, hat ihre Schüler im Halbkreis vor sich und gibt Kommandos.

Nach dem Aufwärmen wird es ernst. Wenigstens ein bisschen. Denn auch wenn der Potsdamer Fanfarenzug regelmäßig erfolgreich an Wettbewerben teilnimmt und die Mitglieder ein gutes Maß Ehrgeiz verbindet, scheint das Wichtigste zu sein, zusammen Musik zu machen, und zwar mit Freude.

Jetzt wird der Turn- und Musikverein 60 Jahre alt. Am 30. Juni 1963 wurde der Potsdamer Fanfarenzug – mit nur fünf Musikern – gegründet. Bis Anfang der 1970er waren sie auf eine volle Besetzung angewachsen. Das Maximum in der Geschichte des Fanfarenzugs waren 100 aktive Mitglieder. Heute sind es 60 Aktive im Alter von acht bis 47 Jahren, plus 90 Fördermitglieder, oft Ehemalige, die den Verein weiterhin unterstützen wollen. Manchmal aus familiärer Verbundenheit, wenn jetzt ihre Kinder mitspielen.

Hochtrommler müssen an vieles gleichzeitig denken

Josefine, 16 Jahre alt und Hochtrommlerin, kann zu Hause mit der Mutter üben, die hat früher Fanfare geblasen. „Aber dann ist mein Vater leider etwas genervt“, sagt Josefine. Also lieber Training auf dem Platz, zusammen mit ihrer Freundin Bettina. Die beiden sind schon länger dabei, haben eigene Kleidung und dürfen bei Auftritten mitmachen.

Heute hat der Verein 60 aktive Mitglieder im Alter von acht bis 47 Jahren, plus 90 Fördermitglieder.
Heute hat der Verein 60 aktive Mitglieder im Alter von acht bis 47 Jahren, plus 90 Fördermitglieder.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Training unter freiem Himmel im Trainingslager Petzow.
Training unter freiem Himmel im Trainingslager Petzow.

© Fanfarenzug Potsdam

Als Hochtrommlerin muss man an vieles gleichzeitig denken: an den zu trommelnden Rhythmus, an das Marschieren und an die Choreografie der Arme. Um die Schlägel elegant in der Luft kreisen zu lassen, muss man eine bestimmte Drehung im Handgelenk durchführen, sonst wird das nichts, erklärt die Übungsleiterin. „Bis man das drauf hat, das braucht ein paar Wochen“, sagt Josefine. Manchmal üben sie im Ballettsaal im Treffpunkt Freizeit, wo sie sich im Spiegel sehen können.

Die Potsdamer sind ein traditioneller Fanfarenzug mit Naturtonfanfaren und Marsch- und Hochtrommeln. Die flachen Marschtrommeln geben Tempo und Power, die hohen Trommeln Volumen. Die Fanfaren spielen die Melodie, wobei die Töne alleine durch die Lippenspannung entstehen. „Je breiter man den Mund zieht, desto höher werden die Töne“, erklärt Anton. Der Neunjährige und gehört mit Carlie und Ida zu den Jüngsten.

Der Stabführer hat das Sagen, Noten gibt es keine

Sie haben das Training mit Übungen mit dem Mundstück begonnen, dann wurden Stücke geprobt. Erst im Stand, dann beim Marschieren. Schon eine simple Kurve hat es in sich: Wer innen läuft, tritt auf der Stelle, während die Außenreihe den Bogen schlägt. Und dabei nicht das Spielen vergessen.

In Aktion: Der Fanfarenzug Potsdam bei der Saisoneröffnung 2019.
In Aktion: Der Fanfarenzug Potsdam bei der Saisoneröffnung 2019.

© Fanfarenzug Potsdam

Das Sagen hat der Stabführer. Noten gibt es keine, alle Infos werden mit dem Tambourstab oder per Handzeichen gegeben. Das bedeutet, dass man gut aufpassen muss. Bedeutet aber auch, dass man keine Notenkenntnisse braucht, um hier mitzuspielen. Der Nachwuchs kommt: Die Mitgliedsbeiträge sind zudem sozial verträglich, Instrumente und Kleidung werden gestellt. Das macht den Verein attraktiv. Außerdem bekommt man hier auf einen Schlag ziemlich viele Freunde. Jede Woche gibt es zwei bis drei Trainingseinheiten, zweimal im Jahr ein Trainingslager. Dazu kommen Auftritte und Wettkämpfe. Und ab und zu wird etwas Nicht-Musikalisches gemacht, von Bowling bis Basteln.

Schlag auf Schlag: Die Potsdamer sind ein traditioneller Fanfarenzug mit Naturtonfanfaren und Marsch- und Hochtrommeln.
Schlag auf Schlag: Die Potsdamer sind ein traditioneller Fanfarenzug mit Naturtonfanfaren und Marsch- und Hochtrommeln.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Auch eine Fanfare kann auf Dauer schwer werden.
Auch eine Fanfare kann auf Dauer schwer werden.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Bettina Bels und Janette Pankonin sind seit ihrer Kindheit dabei, heute ist Bels Vereinsvorsitzende und Pankonin Übungsleiterin. „Ich bin im Beruf Erzieherin, das passt“, sagt Pankonin. Gerade bei den Kleinen ist der Trainerschlüssel sehr gut. Flachtrommler Casey, elf Jahre alt und erst seit vier Monaten dabei, hat an diesem Tag sogar Einzelunterricht. Sein Coach Jan-Simon vermittelt zunächst etwas Theorie: „Wirbel sind geprellte Sechzehntel, es gibt aber auch triolische Wirbel.“ Und dann muss Casey praktisch ran.

Keine politische Dimension mehr

Die Mischung aus Spaß, Gruppengefühl und Herausforderung scheint zu funktionieren. Der Potsdamer Verein ist einer der erfolgreichsten in Deutschland. Sie gewannen die erste DDR-Meisterschaft 1978 und gewinnen bis heute Wettkämpfe und Weltmeisterschaften.

Im Mai nahmen sie am Deutschen Turnermusikfest in Regensburg teil. Im Konzertwettbewerb gab es ein „Sehr Gut“, im Marschwettbewerb ein „Gut“. Was es heute nicht mehr gibt, ist die politische Dimension der Marschmusik. „Keine roten Nelken mehr am Revers – das haben wir hinter uns“, sagt die Vorsitzende.

Carlie, Ida und Anton müssen am Ende des Trainings alle Einzelheiten zusammenbringen, Einsatz finden, auf die anderen hören, den richtigen Ton treffen und vor allem mitzählen. Mit der Hand in der Hüfte. Aber auch eine Fanfare, die nur 800 Gramm wiegt, kann auf Dauer schwer werden für einen kleinen Arm. Dann muss man ein bisschen mogeln und mit der linken Hand stützen. Aber das ist an diesem Nachmittag okay.

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