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Kultur: Ach, die Liebe

Das Slow Motion Quintet im Nikolaisaal

Das Slow Motion Quintet im Nikolaisaal So viel Liebe in einer Stimme. Wenn Solveig Slettahjell singt, wie Freitagabend im Foyer des Nikolaisaals, ist alles ganz einfach. Ein sanfter Ton, mit dem sie beginnt, vom Piano aufgegriffen, vom Bass gestreichelt, vom Schlagzeug nur leicht getrieben und mit dem Trompetenton spielend. Jazzstandards in gepflegtem Minimalismus. Man lauscht und ist selig. Und es dauert nicht lange, dann hat einen die Norwegerin Solveig Slettahjell soweit, seinen Sitznachbarn zu umarmen. Eigentlich ein wildfremder Mensch. Doch wenn Solveig singt, geht es einem gut, alles ist so einfach und man läuft Gefahr, solche komischen Dinge tatsächlich zu tun. Als Solveig Slettahjell 2001 ihr Debütalbum aufnimmt, holt sie sich für die Live-Einspielung noch ein 13-köpfiges Orchester hinzu. Große Lieder wie „All the way“ oder „Blame it on my mouth“ mit großer Besetzung. Doch die gepflegte Langsamkeit ist auch hier schon Programm. Auf ihrem aktuellen Album „Silver“ verlässt sich die Sängerin nur auf ihre vier Kollegen. Und wieder hat sie Standards am Wickel, die sie konsequent verfremdet und so zu eigenen Stücken macht. Da schleppt Pianist Morten Qvenild im Foyer ein paar Akkorde an, lässt Sjur Mileteig mit seiner Trompete wenige Töne zu und Mats Eilertsen am Bass und Per Oddvar Johanssen am Schlagzeug mischen den Rest dazu. Und ganz unaufdringlich kommt diese Stimme hinzu. Seit 1993, als die Isländerin Björk ihr Album „Debut“ veröffentlichte, wird Stimmen aus dem Norden gern das gewisse Etwas zugesprochen. Wer Solveig Slettahjell hört, muss zugeben, dass da etwas dran sein muss. Sie ist ein zartes Wesen, diese Stimme, wo jeder Ton zerbrechlich scheint. Dann dehnt sie sich und füllt den ganzen Raum. Die Band im Hintergrund drosselt das Tempo, schließlich geht es ja um Langsamkeit. Manchmal darf aber auch getobt werden. Dann rackert sich Qvenild an den Tasten in Ekstase. Dann holt Johanssen seltsame Töne aus den Becken, gibt sich die Trompete atmosphärisch, geraten die Töne aneinander und klingt Schiefes in die Harmonie. Solveig lässt sich davon tragen und das Publikum lässt alles mit sich machen. Hören und staunen, das könnte den ganzen Abend, die ganze Nacht so weiter gehen. Denn immer wieder allgemeines Erstaunen, wie facettenreich diese musikalische Langsamkeit doch klingen kann. Das einzige Manko an den Liedern des Slow Motion Quintet: Sie haben ein Ende. Aber eigentlich doch ganz gut so. Denn bei so viel Liebe in einer Stimme, ganz ohne Pause, könnte es passieren, dass einen plötzlich der Nachbar umarmt. Dirk Becker

Dirk Becker

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