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Kultur: Alles passt

Szenische Lesung aus Fontanes „Vor dem Sturm“

Einen Roman wie Theodor Fontanes „Vor dem Sturm“ für eine gut anderthalbstündige Lesung zu kürzen, ist sicher nicht ganz einfach, und zwar nicht nur weil er mit rund 800 Seiten sein umfangreichster ist. Die eigentliche Schwierigkeit ergibt sich wohl, inmitten der enormen Vielzahl der Handlungsstränge, der überquellenden Fülle der Figuren und des Reichtums an Themen überhaupt einen roten Faden zu finden, der ganz für sich bestehen kann und ohne ständige Rückverweise dennoch dem Kontext dieses epischen Großwerks verpflichtet bleibt. Dem Schauspieler Hans-Jochen Röhrig ist dieser Kunstgriff gelungen. Zusammen mit seiner Kollegin Sabine Scholze ließ er am Mittwochabend im sehr gut besuchten Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, im Rahmen einer szenischen Lesung eigens ausgewählter Kapitel, die seltsame alte Zwergin Hoppenmarieken, eine der interessantesten Nebenfiguren des Romans, quasi die Hauptrolle spielen.

Doch vielleicht ist es gar nicht so ungewöhnlich, aus dem riesigen Panorama der märkischen Adels-, Bürger- und Bauernwelt, welches Fontane in seinem 1878 erschienenen und heute fast schon vergessenen Debütroman entfaltet, ausgerechnet diese skurrile Figur aus der ärmeren Landbevölkerung in den Blickpunkt zu rücken. Wie die im Buch meist wirklichkeitsgetreu nachgezeichnete Landschaft des Oderbruchs ist auch Hoppenmarieken, die in ihrer düsteren Kate haust, ein Original, sogar mit realem Vorbild, worauf Hanna Delf von Wolzogen, die Leiterin des Fontane-Archivs, in ihrer Einführungsrede hinwies. Fontane hat mit Hoppenmarieken eine besonders auffällige Figur entworfen, die stets mit rotem Friesrock, in hohen Wasserstiefeln und einer Kiepe auf dem Rücken auftritt. Ihren Lebensunterhalt verdient sich diese sonderbare Alte, die oft Karten legt, wahrsagt und trotzdem sonntags in der Kirche lauthals alle Lieder mitsingt, wahlweise als Botengängerin oder als Hehlerin. Viele Dorfbewohner halten sie für eine Hexe oder einfach nur für einen Spuk, wenn auch nicht für einen bösen.

So spielen die meisten Kapitelpassagen, die an diesem Abend vorgelesen werden, also auf dem Land, im Dorf und Schloss Hohen-Vietz im Oderland, unmittelbar dort, wo Graf Bernd von Vitzewitz im Winter 1813, kurz vor Beginn der Befreiungskriege gegen Napoleon, mithilfe einer eigenmächtig aufgestellten Landsturmtruppe eine Partisanenaktion gegen die französische Garnison in Frankfurt plant. Als eher zufällig und am Rande die Hehlergeschäfte Hoppenmariekens auffliegen und sich der junge Lewin von Vitzewitz für sie einsetzt, wird schließlich auch sie in diese politisch-kriegerischen Geschehnisse hineingezogen. Der Angriff auf die französische Garnison scheitert, Lewin gerät in Gefangenschaft und soll nun durch Hoppenmariekens Unterstützung befreit werden. Ein Unterfangen, das für sie tragisch ausgeht.

Recht turbulent, oft humorvoll und mitunter sogar spannend schält sich die Geschichte der Hoppenmarieken aus dem üppigen Romangeflecht heraus und löst sich doch nicht von ihm ab. Dabei ist es ein Genuss, Sabine Scholze und Hans-Jochen Röhrig bei ihrem fein abgestimmten und in den Dialogpartien brillanten Vortragswechselspiel zu lauschen. Alles passt! Selbst die Klaviermusik, etwa von Friedrich Wilhelm Zachau, Nils W. Gade oder Valentin Rathgeber, mit der Christian Deichstetter diese wunderbare Darbietung mal begleitet, mal die Atempausen füllt, bleibt Fontanes „Zeitbild“ treu. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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