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Kultur: Arche-Ausklang

Wenn ein Küster sich erinnert

Bereits zum dritten Mal in Folge beendeten nachgelassene Texte des St.-Peter-&-Paul-Küsters August Burda (1908-1980) ein Vortragsjahr der „arche“. Siebzehn davon hat der gebürtige Wiener, im dienenden Amt von 1936 bis 1969 in Potsdam tätig, noch aufgeschrieben, bevor das Kirchenarchiv im anglo-amerikanischen Terrorangriff im April 1945 unterging. Neben seinem Dokumentarbericht dieses Infernos bilden diese „Geschichten“ heute einen fast hilflosen Ansatz, das veraschte Wissen dieser traditionsreichen Katholiken-Gemeinde um ein Weniges zu ersetzen.

Eine authentische Biografie des ehemaligen Küsters wird mehr erzählen müssen als von seinen vielen Talenten, so als Kunstschmied – ein Funke zerschlug sein Auge und rettete ihn vor dem Kriegsdienst – Schnitzer, Maler und Prosaist, oder wie er zum Titel Oberlehrer kam, obwohl er nicht mal SED-Mitglied war. Bevor der Pensionär 1969 ins Katholisch-Süddeutsche ging, vererbte er der Potsdamer Gemeinde die Mappe mit seinen Geschichten, sich selbst damit dem Vergessen entreißend.

Die von Manfred Gläser und Michael Kindler unter dem Originaltitel „Zirkelschlag auf geheiligtem Boden“ vorgetragenen Geschichten schienen die Gemeinde etwas mehr zu entzünden, als den neutralen Besucher des Abends. Was der damals 75-jährige Kirchturm der Propsteikirche St. Peter und Paul auf dem Bassinplatz mit seinen vier Glocken Herrn Burda samt den Seinen im letzten Kriegsjahr bedeutet hat, wird heute weniger Aufmerksamkeit finden als der Fakt, dass man in der NS-Zeit drei der bronzenen „Sendboten des Glaubens“ einschmelzen ließ – drei, nicht alle vier. Irgendwie schwärmte August Buda dabei sehr. „Gotteskinder“ nannte er die ehernen Dinger, „Persönlichkeiten“ seien die Glocken sogar geworden. Andere Texte verklären die Unschuld weißgekleideter Kinder bei einer Kommunion bis zur Tränengrenze, oder sie berichten, wie eine Marienfigur, die so lang und trocken auf dem Boden der jetzt 140-jährigen Potsdamer Kirche lag, „ihre Heimat wiederfand“. Weiterhin erzählt der Küster vom Tod eines kaiserlich-deutschen Gesandten aus Potsdam, den man beim Boxeraufstand 1900 in China durch „rücksichtslose Tat“ erschoss. Carl August von Ketteler, ein Spross aus dem Umfeld des mächtigen Bischofs von Mainz, bekam in Peking ein eigenes Sühnetor, dazu gab es eine Entschuldigung der Regierung von China. Letztlich, so beschloss Burda diese Geschichte, könne nur die Kirche für wirkliches Nicht-Vergessen sorgen, schließlich war der Name dieses katholischen „Martyrers“ in den Saum eines Potsdamer Messgewands gestickt. Ironischerweise ist es heute unauffindbar.

Dann gab es noch schwärmerische Sätze zum Werden und Sein des „Alten Heiland“, einem uralten Kruzifix, mit Maria Magdalena zu Füßen. Es hing mal am Bassinplatz, mal in der Kapelle St. Joseph. Wer dort kniee, schrieb Burda, der fühle sich als Teil vieler Tausender, die es vor ihm getan. Na ja, auch so lässt sich Gemeinschaft wider das Vergessenwerden herstellen, wogegen der wackere Küster wohl sein Leben lang kämpfte. G. Paul

G. Paul

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