zum Hauptinhalt

Kultur: Bild der Zersetzung

Dichtung und Wirklichkeit zum Thema Stasi

Genau noch bis 24 Uhr, knappe zwei Stunden also, könne man sein Buch „Das Leben der Anderen“ bestellen, bevor es auch im Internet nicht mehr angeboten werde. Als Florian Henckel von Donnersmarck am Donnerstag im „Thalia“ über die einstweilige Verfügung gegen sein Buch sprach, berührten sich Fiktion und Faktisches dann endgültig. Die „Übergabe der Macht an die Stasi“ nannte der Regisseur den Vorgang. Vergeblich hatte er sich während der Diskussion, die ja eigentlich dem Film „Das Leben der Anderen“ galt, immer wieder darum bemüht, die Ebenen zu trennen. Das erscheint beim brisanten Thema von Buch und Film jedoch noch schwieriger als ohnehin: Die Staatssicherheit. Sie hat auch den Schauspieler Ulrich Mühe eingeholt. Mühe, der die Hauptrolle des auf wundersame Weise zum guten Menschen gewandelten Stasi-Offiziers im Film spielt, behauptet in Donnersmarcks Buch, seine Ex-Frau, die Schauspielerin Jenny Gröllmann, sei Informantin der Staatssicherheit gewesen. Diese hat nun die gerichtliche Verfügung gegen das Buch erwirkt.

Doch das war nicht der einzige Punkt, an dem die Trennlinie zwischen Geschichte und Geschichten verschwamm. Wie vielerorts, wurde auch im „Thalia“ dem Regisseur vorgeworfen, die menschliche Wandlung eines ehedem eiskalten Spitzels zum Menschenfreund aus rein dramaturgischen Gründen zu vollziehen, am Ende gar nur darzustellen, damit sich der Film besser verkaufe. Die Kritik, der Film sei für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht hilfreich, löste sporadischen Applaus aus. Doch der Regisseur wusste sich eloquent zu verteidigen: „Wiesler zeigt, wie sich Menschen hätten verhalten können, jeder hatte die ,Möglichkeit des Guten““.

Donnersmarcks Entgegnung, vor allem ehemalige Stasi-Mitarbeiter müssten sich über den Film aufregen, war eigentlich unnötig. Denn sein Konzept, die Unmenschlichkeit der Stasi durch die leuchtende Ausnahme Wiesler zum Vorschein zu bringen, geht auf. Dass es, wie Gisela Rüdiger, Leiterin der Potsdamer Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, darlegte, keinen überlieferten Fall einer solchen Wandlung gibt, kann Donnersmarcks Film dabei nichts anhaben. Auch nicht, dass gewisse Details des Film in der Wirklichkeit so nicht hätten stattfinden können. Wie Gisela Rüdiger erklärte, hätte ein einzelner Spitzel niemals die Kompetenz gehabt, einen Überwachungsvorgang derart zu manipulieren oder eine derart persönliche Beziehung zu einem „Objekt“ aufzubauen, wie es Wiesler im Film gelingt.

Was den Streifen gelungen macht, sind die Milieustudien. Intellektuelle und Künstler auf der einen und der Staatsapparat auf der anderen Seite. Und, dass er „die Zersetzung“ zeigt, wie die Stasi also selbst ohne den Einsatz von physischer Gewalt Menschen zerbrochen habe, wie Gisela Rüdiger hervorhob. Während der Regisseur für seine Aussage, die Stasi sei nach der Wende zu milde behandelt worden, nunmehr selbst warmen Applaus erntete, wird zumindest das Buch zum Film also von der Wirklichkeit eingeholt. Hätte Ulrich Mühe den auf ihn angesetzten Spitzeln gedankt, wie es der ausgehorchte Schriftsteller Georg Dreyman im Film macht, das Buch wäre wohl noch im Handel. Doch da ist man wieder bei der Trennung zwischen Wirklichkeit und Dichtung. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false