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Kultur: Blitzgescheit und wortwitzig

Jörg Thadeusz amüsierte im Literaturladen Wist bei langer Lesenacht

Jörg Thadeusz amüsierte im Literaturladen Wist bei langer Lesenacht Wonach duften Krankenschwestern? Antwort A: nach Chanel, Antwort B: nach Davidoff for Men, „weil der Chefarzt immer an der falschen Stelle spart“ oder Antwort C: nach „Bübchen“- Pflegemilch? Der Radio- und Fernsehmoderator Jörg Thadeusz war eigentlich in den zum Bersten vollen Salon des Literaturladens eingeladen, um aus seinen Büchern zu lesen. Aber Thadeusz“ schalkhafte Natur ließ die fünfzig Zuhörer, die meisten so um die Dreißig, zunächst ein Quiz absolvieren, um ihr „notfallmedizinisches Wissen“ abzufragen. Die richtige Antwort, gab Thadeusz bekannt, sei C, als „schutzloser 19jähriger“ habe er selbst diese Erfahrung machen müssen, als eine Krankenschwester ihn mit nach Hause nahm. „Es riecht nicht aufregend“, weiß er nun. Thadeusz, der Grimme-Preisträger, der bis vor kurzem als der subtilere und bösere Moderator der abgesetzten RBB Talkshow „Leute am Donnerstag“ zu sehen war, hatte auch ohne diese verteufelt geschickte Überleitung in die thematische Welt seines Sanitäter-Romans „Rette mich ein bisschen“ längst und dauerhaft die Sympathien auf seiner Seite. Schlagfertig war der 36-jährige. Spitzbübisches Grinsen und Teddyaugen, die immer mitlachen, begleiteten seine ins Publikum gerichteten Abschweifungen: „Sie da, sie haben die Augen zu“, Thadeusz fixierte eine Frau in der zweiten Reihe, „Sie sind doch noch keine 25 und schon eingeschlafen?“ Dieses Krankheitsbild heiße übrigens Narkolepsie. Dass ein blitzgescheiter, wortwitziger und schnellredender Medienmensch sein Publikum blendend zu unterhalten versteht, ist nicht ungewöhnlich. Dass er ohne viel mediales Getöse unter die Autoren gegangen ist, und auch hier eine herausragende Figur macht, ist es umso mehr. „Rette mich ein bisschen“ erzählt die Geschichte von Gunnar, dem Rettungssanitäter, der es schon für eine Begabung hält „über sehr lange Zeit entrückt starren zu können.“ Nicht gerade erfolgreich bei den Frauen, verliebt er sich während eines Einsatzes in Melanie. Er musste ihre tote Mutter abtransportieren, ihren Namen erfuhr er vom Totenschein. Kein guter Start für eine Liebe. Thadeusz spricht nicht nur, er liest auch schnell, was bei der hohen Pointendichte seines Buches zu einem permanenten Kichern im Auditorium führt. Es sind die ironischen, so treffenden Alltagbeobachtungen, der unverstellte Blick in Gunnars Gedankenwelt („Wenn das Sex ist, dann ist das nichts für mich“) und seine Tollpatschigkeit, die Thadeusz mit einer im deutschen Sprachraum äußert seltenen Leichtigkeit und Souveränität in sprachliche Komik verwandelt. Aber längst nicht alles ist lustig, dem Rettungswesen und den Lebensrettern erweist der Autor, selbst als Zivi und kurze Zeit danach in diesem Job tätig, seine Reverenz. Sicher, und da war Thadeusz plötzlich nicht das vergnügte Kasperle, sondern zeigte seine sensible, unsichere, verletzbare Seite, habe er seine Biografie für seine Bücher geplündert. Zu Anfang wäre es ihm daher auch nicht leicht gefallen, die oft turbulenten Sexszenen zu schreiben, wie sie auch sein zweites Buch „Alles schön“ durchziehen. Hier nun hat Thadeusz das Witztempo gedrosselt, die Darstellung der Liebesbeziehung zwischen dem von Flugangst geplagten Piloten Lukas und der Abgeordneten Sarah wirkt gesetzter, erwachsener, tiefer. Auch hieraus las Thadeusz nach einer Pause ausgiebig vor. Auch wenn nach über zwei Stunden der Sauerstoff im Literaturladen langsam knapp wurde, niemand wollte an diesem Abend schnell fort – selbst der Autor nicht. Im benachbarten „Lewy“ saßen er und interessierte Gäste noch lange zusammen. Die Arbeit mit dem RBB werde im Herbst weiter gehen, und sein erstes Buch werde bereits verfilmt, war zu erfahren. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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