zum Hauptinhalt
Erik Schmidt in seiner Ausstellung „Retreat“ im Kunstraum Potsdam.

© Ottmar Winter

Bomben im Paradies : Erik Schmidt im Kunstraum Potsdam

„Retreat“ heißt die Ausstellung des Berliner Künstlers Erik Schmidt. Sie zeigt eine Serie von Palmen - und ist von idyllischer Ruhe meilenweit entfernt.

Bei Erik Schmidt muss Natur sterben, um wieder lebendig werden zu können. Erst fotografiert er sie, zwingt sie zum Stillhalten. Dann übermalt er sie, holt so die Bewegung zurück. Wobei: Übermalen trifft es nicht ganz. Er überschreibt Fotos, tobt sich auf ihnen aus, überdeckt sie mit zentimeterdicken Farbschichten. Bis der Grund kaum mehr zu erkennen ist. Bis aus dem zweidimensionalen Bild wieder eine tatsächliche Landschaft geworden ist, die man mit den Fingern ablaufen will.

Die Palmen, die ab 18. September im Kunstraum Potsdam zu sehen sind, hat Schmidt im Frühjahr dieses Jahres in Sri Lanka fotografiert. Da war er sechs Wochen Gast bei der One World Foundation, einem paradiesischen Ort mit ayurvedischem Essen und jeden Morgen Yoga. Er war dort von Mitte März bis Ende April. Er hatte das Paradies vor Augen und den Krieg im Gepäck. Am 24. Februar hatte Russland die Ukraine überfallen, und Erik Schmidt sah Spuren dieses Krieges plötzlich überall. Riesige Nüsse sahen aus wie Granaten. In den Palmen sah er Explosionen.

Seit rund dreißig Jahren malt Erik Schmidt, Jahrgang 1968, inzwischen, und schon an der Kunsthochschule experimentierte er mit Übermalungen. Seine Lehrer waren der Meinung, dieser Ansatz müsse sich bald erschöpft haben. Er hat sich bis heute nicht erschöpft. Schmidt übermalte Stadtlandschaften, Porträts und Straßenszenen, Strommasten und Zeitungsartikel. Im ersten Stock des Kunstraums sind zwei Gemälde zu sehen, in denen er sich Tokio anverwandelt hat. Vorsichtige Farbtupfer auf einem Straßengewirr, aufgenommen vom Tokio-Tower. Es ist wieder das Spiel mit der Unsichtbarkeit, das auch bei den Palmen zu beobachten ist: Die Stadt verschwindet, aber ihre Struktur tritt stärker hervor. Es ist, als würde Schmidt eine ganz eigene, dem Motiv immanente Essenz aus dem Fotomaterial herauskitzeln.

Auch die Produktivität explodiert hier

Während die Tokio-Bilder sachte von Farbtupfern übersät sind, das Malen „wie Noten setzen“ war, sagt Schmidt, wuchert das Grün und Braun in den Palmen wild durcheinander. Dass die Palmen dennoch immer erkennbar bleiben, liegt an ihrer enigmatischen Form: Schmidt nennt sie „Wirbel“. Gemalt hat er die 16 Bilder, die in Potsdam zu sehen sind, in nur zwei Monaten. „Das Palmenhaus sollte voll werden“, sagt er. Auch die Energie, die Produktivität explodiert in diesen Bildern. Gerade diese Ambivalenz interessiert ihn in seiner Serie. Ihr Titel: „Palm Bombs“. Schmidt hat sie im Stehen gemalt, das Bild vor sich auf dem Boden. Hat die „Palm Bombs“ gewissermaßen eingekreist.

Ergänzend zu den großen Ölformaten zeigt der Kunstraum silberne Reproduktionen von riesigen Nüssen, die tatsächlich aussehen wie Granaten - als seien sie aus den Bildern gefallen, mitten in den Ausstellungsraum. Auch Gouachen, die Erik Schmidt noch in Sri Lanka gemacht hat, hängen hier. Auf Zeitungspapier. „No Crisis“ heißt diese Serie: Es geht um alles, aber nicht um den Krieg. Auf den Ausgaben des „Daily Mirror“ hat er Alltagsmomente festgehalten. Mopedfahrer, Pizzalieferanten, Spaziergänger.

Auf einigen Zeitungsseiten stehen einzelne Wörter, in denen Erik Schmidt seine Fassungslosigkeit angesichts des Krieges, der in Europa ausgebrochen war, Ausdruck verleihen wollte. „Relax“, „Lüge“, „Weapon“. Wörter, die Schmidt durch den Kopf gingen, als er im paradiesischen Retreat Zeitungen las, wo von der Ukraine keine Rede war. Das wirkt hilflos, und ist wohl auch so gemeint. Die gesamte Ausstellung, sagt Schmidt, sei auch die künstlerisch überformte Momentaufnahme eines Künstlers, der eingeladen war, in Zeiten größter Unruhe zwischen Palmen zu wandeln.

Ressourcen sind auch im Paradies begrenzt

Rückblickend beschreibt Erik Schmidt, was er in Sri Lanka erlebte, wie einen Probelauf für das, was jetzt, in deutlich abgefederter Form, womöglich auf Deutschland zukommt. Versorgungsengpässe, knappe Ressourcen. Letztere sind auch im Paradies begrenzt: Davon berichtet „Retreat“. Als politischen Künstler will sich Erik Schmidt bezeichnen, und sagt doch: „Ich male ja nicht nur aus mir heraus.“ Zeitungen, Informationen, sind für ihn als Ausgangspunkt für seine Arbeit essentiell.

Ungefähr ebenso lange wie er malt, macht Erik Schmidt auch Videos, „alle zwei bis drei Jahre“, wie er sagt. Als Selbstbefragung. Auch davon sind zwei im Kunstraum zu sehen. Sie beide erzählen ebenfalls von Versuchen des Rückzugs. „Fine“ entstand 2019 in Italien. Ein Mann steigt auf einen Berg, verbrennt seine Kleidung, übergießt sich mit Olivenöl. Dem gegenüber: „Inizio“, gedreht 2021. Ein Mann geht durch Rom, landet in einer idyllischen Gemeinschaft, begegnet dort einem jüngeren Selbst. Tanzt, labt sich an saftigen Früchten. Am Ende dreht er dem Paradies den Rücken zu.

„Retreat“ im Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse. Eröffnung am 18. September 14 bis 18 Uhr. Bis 30. Oktober.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false