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Kultur: Club der soften Schauspieler

Auftakt zur Hör-Lounge im Waschhaus

Keine reine Literaturlesung wollen sie bieten, schon gar keine weitere Lesebühne. Das gibt es ja schon, sogar in Potsdam. Was denn dann? Im Mittelpunkt des Konzeptes der Macher der neuen Reihe „Hör-Lounge“, Andreas Erfurth und Kai Frederic Schrickel, steht schon immer noch ein Text, der auch gelesen wird. Er ist aber in seiner Form dem Drama näher als der Prosa. Diese Zwitterform kann szenische Lesung, Probebühne oder – je nach Sympathie – auch „leicht unfertiges Theaterstück“ genannt werden.

Etwas irritierte – wenn auch nicht unangenehm – an der Atmosphäre beim Auftakt der Reihe im Club des Waschhauses. Zwischen den mittlerweile blutrot gefärbten Wänden schien irgendetwas anders zu sein. Zunächst fiel auf, dass die übliche Spielrichtung umgedreht wurde. Die Nische, die normalerweise als kleine Bühne fungiert, war diesmal die letzte Reihe. Nun markierten elf Sitzgelegenheiten, die vor dem DJ Pult aufgebaut waren, den Ort des Geschehens.

Erfurth und Schrickel zielen mit ihrem Angebot auf die nicht mehr ganz so jungen Über-20-Jährigen. Das muss sich wohl herumgesprochen haben. Hätte man sich plötzlich nicht erinnern können, dass man eben noch durch Potsdam gefahren war, die liebenswerte Stadt des Ewiggleichen und Unbeweglichen, wäre man womöglich nach der Veranstaltung vor das Haus getreten, in Erwartung, in einer der zahlreichen Kneipen vom Prenzlauer Berg einen Absacker zu trinken. Die Besucher sahen nämlich so ganz anders aus. Die Männer trugen ihre coolen Kurzmäntel offen oder ihre eng anliegenden Hemden über der Hose. An der Bar musste nur kurz erklärt werden, dass es sich beim Potsdamer Rex um ein Pils handelt. Auch alle Frauen im Publikum waren durchweg von strahlender Attraktivität. Seltsamerweise sahen sie sich alle zum Verwechseln ähnlich. Dieser selbstbewusste Typ, den man „tough“ nennen könnte. Kurze Haare, kleiner Pferdeschwanz, Rock mit Rolli. Und alle schienen sich untereinander zu kennen. Jeder umarmte jeden. Also wahre Loungeatmosphäre, die immer von viel Zärtlichkeit geprägt ist. Obwohl die Idee der „Lounge“ vielleicht gar nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. In einer „Lounge“ ist ja das Leben prinzipiell genauso wie sonst, nur eben viel, viel sanfter und langsamer. Heute kann sich so eine Langsamkeit eigentlich keiner mehr leisten.

Der wahre Grund für diese entspannte Stimmung ist allerdings wohl eher, dass es sich bei der „Hör-Lounge“ um einen Treffpunkt junger und mitteljunger Schauspieler aus der Umgebung handelt.

Ein grundsätzlich fröhliches und deshalb besonders spannendes Milieu. „Wollen wir nicht einmal zusammen mal ein Projekt machen?“, ist hier Begrüßungsfloskel. Eine junge Kollegin, Anja Dreischmeier, die auch schon am Hans Otto Theater spielte, lieferte das aufgeführte Stück. „Liebe Freiheit Arbeit – Oder was sonst noch fehlt“. Gleich elf Akteure nehmen Platz. Sie tragen weiße T-Shirts, auf denen ihre Namen gedruckt sind. Elf Hauptpersonen sind für ein Stück schon eine ganze Menge. Wenn sie hätte malen können, sagt die Autorin, hätte sie ein Bild nach ihren Freunden auf die Leinwand gebracht. So hat sie Charaktere erschaffen, wie den phlegmatischen Bernd oder die wirre Christine. Bernd denkt darüber nach, seinen Alltag neu zu strukturieren. Aufstehen, Frühsport, Waschen, Zeitunglesen einmal in einer anderen Reihenfolge. Anita redet nur über ihre Haare. Susanne trägt den Schmerz einer unerfüllten Liebe mit sich herum. Man redet nicht wirklich mit einander. „Autistisch“ wären die Dialoge, sagt Dreischmeier, „ein wenig wie in einer Therapiegruppe.“ Jeder ist von einem bestimmten Verhaltensmuster blockiert und kommt nicht weiter. Das passt gut zum soften Loungecharakter. Der Stillstand, die Blockade sind Modell. Der frenetisch gefeierte Höhepunkt ist erreicht, als jemand völlig aus dem Sinnzusammenhang gerissen fordert, die Paula solle doch einmal ein Lied singen. Schauspielerin Andrea Seitz, wie die anderen Akteure Freunde und Bekannte der Autorin, singt „Don“t cry for me Argentina“. Doch der Text will nur in Bruchstücken ins Gedächtnis kommen. Sie windet sich in den Textfetzen, die ihr einfallen und kommt dann doch zu einem sehr witzigen Finale, zu dem die ganze Gruppe in den Chor einfällt. Summend. Den Text kennen sie natürlich auch nicht.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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