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Kultur: Den Ballast abgeworfen

Angenehme Clubatmosphäre: Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang allein mit seinen Texten im Lindenpark

Angenehme Clubatmosphäre: Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang allein mit seinen Texten im Lindenpark Mancher wird es schon einmal getan haben. Die Plattenhüllen von Keimzeit in den Händen, nur die gedruckten Texte von Sänger Norbert Leisegang vor Augen. Die Lautsprecher hatten zu schweigen, denn jetzt zählte nur das Wort. Um dann festzustellen, dass Leisegangs Zeilen auch allein bestehen können, ganz von der Musik befreit oft sogar noch stärker wirken. Auch dem Regensburger Verleger Martin Stein blieb das nicht verborgen. Er kam mit Leisegang ins Gespräch, den Vorschlag, die gesamten Texte im Buchformat zu verpacken, im Gepäck. Nach einigen Gläsern Bier und harter Überredungsarbeit, ließ sich Leisegang sogar davon überzeugen, unveröffentlichte Texte aus ganz frühen Tagen frei zu geben. „Etwas höher nur der Mond“ vereint nun auf 130 Seiten die Texte der sieben Alben, die Leisegang zusammen mit Keimzeit in nunmehr 20 Jahren Bandgeschichte veröffentlicht hat. Dazu weitere vierzehn, die bisher ganz tief unten in Schubladen ruhten. Zusammen mit dem Musiker Frank Braun hat sich Leisegang nun auf gemacht, diese Texte in einer musikalischen Lesung zu präsentieren. Den Bandballast abgeworfen, nun die Möglichkeit, diesen Mann als Beinahesolokünstler zu erleben. Die Stuhlreihen im Lindenpark waren am Donnerstagabend nicht voll besetzt, als Leisegang und Braun die Bühne betraten. So verlief die Veranstaltung in angenehmer Clubatmosphäre. Entspannt, vielleicht anfangs auch etwas angespannt, ob der Frage, wie es wohl sein würde, wenn Leisegangs Stimme die Texte nur noch liest, von denen manche mit ihren Melodien förmlich verwoben sind. „Kintopp“ vom Debütalbum „Irrenhaus“ war dann der erste Text des Abends. Und ein wenig ungewohnt war es schon, das Ohr verlangte nach der Melodie. Denn Manches klang allzu sperrig, dem sonst der gesungene Ton Weiches gab. Doch man musste sich darauf einlassen, der Stimme Leisegangs folgen, um die Texte neu erleben zu können. Entschlackt vom üblichen Bandgetöse, standen die Worte nun allein, ganz klar und zeigten, so deutlich wie nie, das Leisegang ein Mann ist, der etwas zu sagen hat. Ob „Berlin“ oder „Halbmenschen“, „Schwein“ oder „Leute“, Leisegangs Stimme trägt, auch wenn er nicht singt. Doch ganz ohne Musik ging es an diesem Abend dann doch nicht. Unterstützt durch seine Akustikgitarre, Frank Braun an der Trompete und dezentem Rhythmusgeflecht aus dem Computer sang Leisegang. Und in diesen Momenten fragte man sich, warum noch keiner auf die Idee kam, Leisegang und seine Gitarre für einen Tag in ein Tonstudio zu sperren und ihn einfach machen zu lassen. Denn nur auf die Gitarre und seinen Gesang beschränkt, werden seine Lieder zu dem, was man zeitlos nennen möchte. Die musikalischen Veränderungen, die Keimzeit auf ihren Alben vollzogen und nicht immer auf Gegenliebe stießen, hier waren sie nicht zu hören. Ganz bei sich, ganz persönlich, sang Leisegang die bekannten und so oft gehörten Lieder mit einer neuen Direktheit, die einen verblüffte. Das weniger oft mehr sein kann, Leisegang bewies es mit der ihm eigenen Leichtigkeit. Dann wieder ein paar Texte, gelesen und zum Schluss „Singapur“, einfach nur Lied. Man blieb noch einen Moment sitzen, ließ sacken, was Leisegang da vorn auf wunderbare Art und Weise präsentiert hatte, vielleicht auch erstaunt darüber, was einfache Worte mit einem anstellen können. Dirk Becker Norbert Leisegang: „Etwas höher nur der Mond“, Karthaus Verlag, 13 Euro.

Dirk Becker

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