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Kultur: Der amerikanische Freund

Wim Wenders kommt ins Filmmuseum – und bringt großartigen Bildband mit

Wer in den vergangenen Monaten das Glück hatte, die wunderbare und wie viele gute Filme leider in kleinste Kellerkinos verbannte Dokumentation „Go West, Young Man“ von Peter Delpeut und Mart Dominicus zu sehen, wurde gewahr, was er eigentlich schon lange wusste: Der Western ist tot. John Ford, der größte seiner Regisseure, wird niemals wieder kommen. Es war also mehr als wahrscheinlich, dass sich Wim Wenders, als berufener Dokumentarist verlorener Seelen, früher oder später dem Westerngenre und seiner Heroen zuwenden würde, deren Niedergang das Ende des Amerikanischen Traums deutlicher erscheinen lässt als das Verschwinden des Straßenkreuzers. Mit „Don''t Come Knocking“ hat sich Wenders nun ihrer angenommen. Als Freund Amerikas nicht mit Zeigefinger, sondern mit Gefühl. Am morgigen Freitag kommt der Regisseur um 19.30 Uhr ins Potsdamer Filmmuseum und stellt seinen jetzt erschienenen Bildband zu dem seit einigen Monaten in den Kinos laufenden Film vor.

Das gewaltige Buch von fast 400 Seiten leitet Wenders wieder einmal mit einer durch ihre Schlichtheit ergreifende Anekdote ein, in der er beschreibt, wie er auf der Suche nach dem Städtchen „Poisonville“ aus einer Erzählung von Dashiell Hammetts auf Butte im US-Bundesstaat Montana gestoßen war. Tief in einer Nacht des Jahres 1978 vollkommen übermüdet dort angekommen, wurde er bald von Feuerwehrsirenen aus dem Schlaf gerissen und Zeuge, wie ein ganzer Häuserblock in Flammen aufging – einer der schönsten der trostlosen Giftstadt. Von deren geisterstädtischen Mischung aus Ruhrgebiet, New York und Alpenvorland sei er, so erzählt Wenders, derart fasziniert gewesen, dass er sie sofort als noch unentdeckte Filmkulisse ausgemacht habe.

Über 25 Jahre fehlte ihm jedoch jene Geschichte, die hier und nirgendwo anders hingehört – bis er mit Sam Shepard „Don''t Come Knocking“ ausarbeitete. Nun endlich bekam die Stadt ihr Drehbuch und dann auch ihren Film. Der Band umfasst neben dem Drehbuch eine Fülle umwerfender Fotografien des Städtchens, die den unfehlbaren fotografischen Blick von Wim Wenders und seiner Frau Donata unter längst nicht mehr nötigen Beweis stellt. Wenders'' formale und inhaltliche Verbundenheit mit Edward Hoppers Gemälden melancholischer Vereinsamung – in der Totalen von amerikanischen Kleinstadtecken, ebenso wie im Porträt – wird hier noch greifbarer als in seinen Filmen. Man sieht Menschen, deren Fluchtversuche unter dem weiten Himmel Amerikas vergeblicher kaum sein könnten. Sind die Pferde auch noch so schnell, die Prärie ist größer.

In ätzender Schärfe und übersättigter Farbe oder aber grobkörnigem Schwarzweiß gibt es Fotos von Amerika, wie es gern gewesen wäre, und Aufnahmen von Dreharbeiten: Kamerakräne, Wohnwagen, mehr oder weniger wichtige Personen am Set. Bewusst vermischt der Bildband dabei die Ebenen zwischen dem Set von „Don''t Come Knocking“ selbst und den Filmarbeiten im Film, von denen der seinen Rollen fremd gewordene, alternde Westernmime Howard Spence (Sam Shepard) zu fliehen versucht. Allein Shepards markiges Gesicht macht das Buch zu etwas außergewöhnlichem. Doch gleichwohl zeigt es noch andere einfühlsame Portraits. Etwa der betagten Eva Marie Saint, wie man sie seit Robert Burks Aufnahmen für Alfred Hitchcock nicht mehr gesehen hat. Und das war vor fast 50 Jahren. Wenders siedelt somit seinen Film zwischen Kinowirklichkeit und Kinofiktion an, dem Raum des Kinos im Kino. Und zeigt, dass er die von ihm als Hypothek empfundene Erblast seines international sehr erfolgreichen Films „Paris, Texas“ nicht nur optisch glänzend abzuzahlen vermag. Damals, Anfang der 80er Jahre, hatte Sam Shepard ebenfalls das Drehbuch geschrieben.

Mit Wim Wenders kommt ein Regisseur ins Filmmuseum, der mit „Himmel über Berlin“, „Buena Vista Social Club“ oder „Million Dollar Hotel“ das amerikanische wie das europäische Kino gleichermaßen beeinflusst hat. Er wird das Buch im Gespräch mit Knut Elstermann vorstellen; anschließend ist sein neuer Film zu sehen. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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