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Kultur: Der Großmeister tanzt

Lisa Rydberg und Gunnar Idenstam mit „Bach auf Schwedisch“

Es war ein Abend der Verwirrung. Und mehrmals fragte man sich, ob es wirklich nur an diesem „Bach auf Schwedisch“ lag, den Lisa Rydberg und Gunnar Idenstam auf der kleinen Bühne präsentierten, oder ob es vielleicht doch der drückenden Hitze in der Ovidgalerie geschuldet war. Großmeister Johann Sebastian Bach stand auf dem Programm bei dem Konzert der Musikfestspiele am Donnerstag in den Neuen Kammern Sanssouci. Darunter einzelne Sätze aus seinen Suiten und Partiten für Violine, Cello und Laute, dazu einige schwedische Volkslieder mit so klingenden Titeln wie „Eklundapolskan“ und „Mora yngre brudmarsch“. Im Grunde nichts Ungewöhnliches, gehört diese Vermischung von Stilen ja mittlerweile zum guten Ton im klassischen Konzertbetrieb. Denn wer sich nur traditionell gibt, läuft schnell Gefahr, altbacken zu gelten. Und da sorgten Lisa Rydberg und Gunnar Idenstam schon für die erste Verwirrung, denn die beiden Musiker geben sich durch und durch traditionell und dabei so erfrischend anders.

Lisa Rydberg spielt Bach mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, wie das nur selten auf der Violine zu hören ist. Aber das allein ist es nicht, was diese Musikerin so besonders macht. Sie spielt Bach mit einer Leidenschaft, die man so noch nicht erlebt hat. Lisa Rydbergs Bach tanzt. Aber nicht gemessen und würdevoll. Dieser Bach tanzt wild, ausgelassen und äußerst lustvoll. Und Lisa Rydberg tanzt mit. Das sorgt dann für die nächste Verwirrung. Da spielte eine Musikerin so frech mitreißend und entgegen aller Konventionen das Höchste, was die Violine- und Celloliteratur zu bieten hat. Dazu lässt sie gelegentlich die Füße auf den Boden knallen und tanzt hingebungsvoll, aber nie übertrieben. Dieser Bach ist Körperlichkeit. Was irgendwie paradox klingen mag, aber wer Lisa Rydberg erleben durfte, weiß, dass das so ist.

Ob ihr musikalischer Partner Gunnar Idenstam sich von dieser Leidenschaft mitreißen lassen könnte, ist schwer zu sagen. Der saß würdevoll und ohne die Miene zu verziehen an seinem Harmonium, als gelte es das schlechte Image dieses Instruments als Leichenbestatterorgel bloß nicht zu beschädigen. Doch das gilt nur für den optischen Aspekt. Musikalisch lieferte Idenstam eine äußerst fein gestaltete Grundierung. Und es lag gerade hier ein ganz besonderer Reiz, diesem so selten zu hörenden Instrument trotz seines so typischen Klanggemuschels und -gemauschels in die feinen Verästelungen zu folgen, die Idenstam mit einer außergewöhnlichen Lässigkeit zu spielen verstand.

Als eine Reise der Fantasie beschrieb Idenstam das Programm „Bach auf Schwedisch“, ganz nach dem Motto: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn Bach schwedische Volksmusikern getroffen hätte? Dass diese Frage unbeantwortet bleiben muss, ist klar. Aber sie bietet reichlich Interpretationsmöglichkeiten. Und Lisa Rydberg und Gunnar Idenstam bieten eine der überzeugendsten. Eigenwillig bis an die Grenze geht Lisa Rydberg, wenn sie die Tempi ganz frei gestaltet, Bach förmlich verschwimmen lässt zwischen den traditionellen schwedischen Melodien. Das ist kein Bach für den Konzertsaal, das ist Bach für draußen, für Orte, an denen man zu diesem Bach tanzen kann. Und da ist die Verwirrung perfekt, weil man über sich selbst verwundert ist, so zu denken. Aber man ist Lisa Rydberg und Gunnar Idenstam auch dankbar, dass sie einem solche Gedanken schenken können. Dirk Becker

Dirk Becker

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