zum Hauptinhalt
Schlimmer als die Kleinen sind oftmals die Großen. Das muss die Lehrerin Sabine Müller (Anna Böttcher, stehend) in „Frau Müller muss weg“ schmerzlich erfahren.

©  HL Böhme/HOT

Kultur: Der junge Fritz

Lutz Hübners „Frau Müller muss weg“ thematisiert Lücken in der Erziehung – und Lust am Klischee

Keine drei Tage ist es her, da marschierte drüben im Großen Haus des Hans Otto Theaters ein Fritz über die Bühne. Mal in Stiefeln, mal in Pumps, im Glitzerkleid und dann im Soldatenrock. So spielte Rita Feldmeier uns in „Fritz!“ die Projektionsfläche vor, die Friedrich II. von heute aus gesehen ist: nämlich immer das, was wir gerade sehen wollen (Negativbilder eingeschlossen). Das, was wir zu kennen meinen und erkennen können. Das hat den Nachteil, dass man an Altbekanntem, auch Klischeehaftem festklebt, zeigt aber auch: Den „wirklichen“, echten Fritz bekommen wir nicht zu greifen, so sehr wir uns auch abmühen. Derjenige, der dem Klamauk über Friedrich II. den Titel gab, glänzte darin also eigentlich durch Abwesenheit.

Am Samstagabend war nun wieder ein abwesender Fritz im Hans Otto Theater zu erleben. Wieder in einer Komödie, diesmal in der Reithalle. „Frau Müller muss weg“ heißt das Stück, uraufgeführt 2010 am Staatsschauspiel Dresden. Der Autor Lutz Hübner gilt als der meistgespielte deutsche Gegenwartsautor. Seine Texte sind wie die von Yasmina Reza: unterhaltsam, zugänglich, mit Gespür für die Verquickung von gesellschaftlichen Brennpunkten und Privatem – und in ihren besten Momenten mit bitterbösem Humor.

Fritz ist hier kein alter, sondern ein sehr junger Fritz, genauer der Primus einer vierten Klasse. Seine Mutter, Frau Grabowski (Friederike Walke), hat sich aus Solidarität mit vier anderen Elternteilen zum Elternabend versammelt, um der Lehrerin ihre Klasse zu entziehen. Denn irgendwas läuft schief hier, außer Fritz bekommen die Kinder schlechte Zensuren, und am Ende des Jahres steht immerhin die Entscheidung über den weiteren Schulverlauf: Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Klar, wenn es nach den Eltern ginge, soll es für alle Letzteres sein. Auch klar: Wenn das nicht klappt, ist Frau Müller, die Lehrerin, schuld. Die sieht das anders, auch deshalb muss sie weg. Außerdem hat sie im Unterricht vor den Kindern angefangen zu weinen – wenn das kein Zeichen von Labilität ist!

Aber hier ist nichts, wie es zunächst scheint. Das mit den Tränen im Unterricht hat der kleine Lukas seinen Eltern erzählt – und die (Wolfgang Vogler und Nele Jung) bringen die Anekdote nur zu gerne vor, als die Lehrerin sich uneinsichtig zeigt. Doch wie das so ist mit Geschichten aus Kindermund, Lukas hat ein wesentliches Detail vergessen. Ja, sie hat im Unterricht geweint, gibt Frau Müller zu – weil Lukas sie eine Stunde lang mit Papierkügelchen beschossen und schließlich ihr Auge getroffen hat. Und damit der Junge zur Abwechslung mal begreift, dass er nicht der einzige auf Welt ist, hat Frau Müller ihre Tränen nicht versteckt. Solche Wendungen sind typisch für Hübners Stück: Schrittweise und pointiert demontiert er die idealisierten Vorstellungen der Eltern von ihren Kindern, zeigt, wie wenig die naturgemäß voreingenommenen Eltern von ihren Kindern wissen – und wie wenig von ihren eigenen Versäumnissen.

Weder den klugen Fritz noch den wilden Lukas noch die faule Janine oder die vorlaute Laura lässt Hübner auftreten – und dennoch schweben sie in der konzentrierten Inszenierung von Isabel Osthues gewissermaßen über der Szene (Bühne Mascha Schubert): In Form von winzigen Kastaniengestecken nämlich, die die Kinder gebastelt haben. So klein, dass man sie kaum erkennen kann, baumeln sie über den Köpfen der Eltern, unberührt von dem Gemetzel, das hier in ihrem Namen stattfinden wird.

Unter den Eltern sind alle gängigen Prototypen vertreten: der arbeitslose Ossi Wolf (René Schwittay), der seine Tochter Janine mit einem Überangebot an Freizeitaktivitäten überfordert, um sein eigenes Zuviel an freier Zeit zu kompensieren. Dann das Ehepaar aus Köln, in den Osten gekommen, um hier Karriere zu machen – er (Wolfgang Vogler) ein so freundlicher wie überheblicher Karrierist, sie (Nele Jung) ein bisschen Übersetzerin, aber hauptberuflich Muttertier, immer den Tränen nahe, wenn es um ihren Sohn geht, den sie selbstredend für ein ausgestoßenes Genie hält. „Wessiarsch“ hat ihn jemand genannt, und zwar ausgerechnet – eine hübsche hübnersche Volte – die vorlaute Laura, deren Mutter aus Mannheim kommt. Lauras Mutter Jessica (Meike Finck) ist die kühle Strategin der Gruppe, Pragmatikerin pur: spricht im Namen der „gesamten Elternschaft“ und will doch eigentlich nur ihre eigene Tochter durchbringen, die, das weiß sie selbst, „nicht die hellste Kerze im Leuchter“ ist. Aber wenn sie erstmal die Empfehlung fürs Gymnasium hat, dann wird irgendeine Privatschule sie schon „durchziehen“.

Bis sie das so sagt, müssen freilich die Fetzen fliegen, ein paar Masken fallen, müssen sich Fronten zwischen Ost und West, zwischen arm und reich verhärten und wieder verschieben. Frau Müller hat da längst wütend den Raum verlassen. Sie kommt erst zum Showdown am Ende wieder dazu, um dem Ganzen eine finale Wendung zu geben. Anna Böttcher spielt Frau Müller nicht als den Eltern moralisch Überlegene – sondern als eine, die es unbedingt sein will. Sie gibt ihrer Figur jene Portion an überzogenem Selbstmitleid, gekränktem Stolz und – wenn sie die Irrtümer der Eltern offenlegt – fast kindlichem Triumph, die das Stück vorm Moralisieren bewahrt. Wie in jeder soliden Komödie sind alle angreifbar, in Momenten lachhaft, bemitleidenswert, abstoßend. Helden gibt es hier nicht, zum Glück – nur Menschen, die ihr Bestes versuchen und es immer nur beinahe erreichen. Damit zeigt auch „Frau Müller muss weg“ nichts Neues – aber es wirft die Frage auf, was genau es ist, das wir in diesen klischeebehafteten Figuren wiedererkennen. Wann hat man das Potsdamer Publikum zuletzt so herzhaft lachen hören?

Wieder am Samstag, dem 21. Januar, und Sonntag, dem 22. Januar, jeweils um 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 1 18

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false