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Kultur: Die Bettlerin

„Im Garten vorgelesen“ bei Sabine Weichbrodt

Treuen Fans von „Im Garten vorgelesen“ ist der duftige Rosengarten von Sabine Weichbrodt längst vertraut. Seit Jahren ordert ihn die URANIA für ihre beliebten Veranstaltungen. Auch am Wochenende war das im Potsdamer Ortsteil Grube so, und gleich zweimal. Um den Andrang nach Eva Strittmatters späte Liebeslyrik zu befriedigen, musste eine Zusatz-Lesung organisiert werden, denn ihre Leserschaft ist nach wie vor sehr groß.

Umrahmt von einem sommerfrischen Musikprogramm (Beethoven, Leonhard von Call, Schubert, Mozart und ein Hauch Vivaldi) für Oboe (Peter Michel) und Violoncello (Karin Liersch) las die gleichfalls gut bekannte Schauspielerin Eva Weißenborn erstmals für den Veranstalter aus dem etwas exhibitionistischen Gedichtband „Der Schöne“. Sehr viel Publikum am Sonntag, bestes Wetter mit Sonne und Windstille, die Rosen blühten (und dufteten) mit leichter Verspätung, auch in diesem Jahr sausten die geschwätzigen Mauersegler über das pastorale Anwesen, wo neben zahllosen Rosen Rittersporn und Pfingstrose blühen, Glockenblume und Frauenmantel, Mohn und Storchschnabel. Der Kuckuck rief sein Wort, eine Herde brauner Kühe nebst Kälbchen muhte am Horizont, Frösche probten hinten am Drainagegraben ihr Liebes-Konzert. Eine Landidylle par excellence.

Auch bei Eva Strittmatter geht es um Liebe. Mitten in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt hatte es sie noch einmal mit voller Wucht erwischt. In Jüterbog verliebte sie sich unsterblich in einem Mann mit schönen Händen und gewissen theologischen Grundsätzen, was ihr etliche „Obsessionen“ bescherte, ihn aber offenbar nicht so berührte. Er wies sie zurück. Das passierte auch Goethe oder Petrarca, nur verarbeiteten sie solche Impulse eher platonisch. Die brandenburgische Lyrikerin aber goss – „Solang ich die güldene Halsschnur trage“ – Liebe und Schmerz, sehnsuchtsvolle Obsession und den einsamen Schmerz einer verschmähten Frau in sehr direkte Verse um, und Eva Weißenborn las sie mit wechselnden Tempi und vielen Nuancen so glaubhaft, als sei nicht die liebestolle Autorin, sondern sie selbst das lyrische Subjekt dieser frei gereimten Bekenntnisse. Die um fast dreißig Jahre jüngere Gattin eines recht berühmten Mannes gibt sich vollständig – und öffentlich – preis: Sie begehrt den Herrn im „Sie“, ruft ihn an, verzehrt sich, will sich gar „dem Scheitan“ verschreiben, damit sie ihn doch noch bekommt: Er war schön, sie ihm hörig, „Er der König, ich die Bettlerin“. Liebe oder nur erotisches Begehren? Gewissen und Vernunft sind absichtlich abgeschaltet, teilte sie dem Leser mit. Als Dokument ihrer Ehrlichkeit ist diese Literatur tatsächlich berührend, viele im Garten waren richtig ergriffen. Die kulinarische Seite der Gastgeber mit Pizza, Käsespießen, Speckkuchen und Wein war vortrefflich, die Musik meist sommerlich beschwingt, zumal Karin Liersch mit einer eigenen Bearbeitung des Volksliedes „All mein Gedanken“ aufwarten konnte. Beifall und Blumen für diesen ausgewogenen Abend, und ein leichter Hauch Nachdenklichkeit für den Heimweg.Gerold Paul

Gerold Paul

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