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Kultur: Die Herbstzeitlosen

Wise beim Potsdamer Jazzfestival

Wise beim Potsdamer Jazzfestival Mit Wise ist der Herbst nach Potsdam gekommen. Wolken, Regen, kühler Wind. Der Donnerstagnachmittag zeigte sich schon in bedenklichem Grau. Am Abend dann, auf dem Weg zum Nikolaisaal, wo die französischen Musiker im Foyer ihren Auftritt beim Potsdamer Jazzfestival haben, den Kragen hochgestellt und mit schnellen Schritten durch den fadenfeinen Regen. Der Sommer hat sich erledigt, jetzt kommen also die trüben Tage. Am Tag danach – Wise klingen noch immer bruchstückhaft im Ohr – mag man diesen Herbst mit seinen Wolken, seinem Regen, seinem Wind. Denn mit der Musik von Wise wird selbst Grau zu einer schönen Farbe. Zuerst ist da nur ein Geräusch, das sich im dunklen Foyer des Nikolaisaals aus den Boxen knotet, elektronisches Knarzen, das in einen Rhythmus stolpert. Dann lässt Guillaume Poncelet seine Trompete klagen, coolste Melancholie, die ab und an in rasanten Tonattacken explodiert. Robin Nottes Klavier hängt sich rein, das Schlagzeug von Rémi Voides tobt seinen ganz eigenen Rhythmus, um den sich der Bass von Jean-Claude Kebaili wickelt. Dazu lässt Julien Birot immer neue elektronische Spielereien aus dem Computer platzen und greift gelegentlich die Gitarre, um dem wirren Wise-Universum die nächste Klanggalaxie hinzuzufügen. So folgt Lied auf Lied. Nur in den Pausen beugt sich Guillaume Poncelet über das Mikrofon, gibt ein kantig-gebrochenes „Dankeschön“ und hat sichtlich großen Spaß an diesem deutschen Wort. Ansonsten dulden Wise keine Unterbrechung. Ihrer Mischung aus dem Elektronischen des TripHop, den Ausschweifungen des Jazz, dem Rabiaten des Rock gehört der Raum. Minutenlang zieht sich das durchs Foyer, baut eine Melodie auf die nächste, führt dann ein Eigenleben, das sich um die anderen nicht im Geringsten schert. Nur am Anfang ein wenig ruhig und gelassen, bauen sich Wise so zu etwas Mächtigem auf, das eine ganz eigenwillige Atmosphäre schafft. Wellenartig, mal aufbrausend, dann sich wieder zurücknehmend, sind die Stücke von Wise. Oberflächlich ähneln sie sich in ihrem Aufbau, in den Melodien. Doch wer sich darauf einlässt, in dieses musikalische Wirrwarr genau hineinzuhören, wird schnell merken, wie abwechslungsreich und spannend Wise sind. Das Konzept dieser Band lässt sich dabei ganz einfach beschreiben: Jeder spielt für sich, aber alle dann doch perfekt zusammen. Nach zwei Zugaben, gnadenlos vom überschaubaren Publikum eingefordert, ist dann endgültig Schluss. Wer nicht genug hat, dem bleibt das im vergangenen Jahr erschienene Debüt „Electrology“, das an einem der Stehtische verkauft wird. Doch mit oder ohne CD, nach diesem Abend kann einem der Sommer gestohlen bleiben. Dirk Becker

Dirk Becker

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