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Aufbruch. Ihr Rentnersein gibt ihnen neue Kraft und Lust auf Quer.Kultur: Gabriele von Wuntsch und Katharina Jung (r.).

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: Die Ideen fliegen ihnen zu

Der noch jungfräuliche Verein „Quer.Kultur“ will sich querdenkend vernetzen / Morgen zeigen sie in der Galerie Ruhnke einen Film über Georg Grosz

Sie sind Quer-Denkerinnen. Während des Gesprächs spinnen sie in durchaus schlüssiger Folge ihre Fäden vom Maler Georg Grosz über die unsäglichen Hartz 4-Debatten, um in die leistungstrimmende Bildungspolitik und schließlich wieder in die Kunst einzutauchen, dabei die Inszenierungen vom „ Turm“ in Dresden und Potsdam vergleichend. Für ihren noch jungfräulichen Verein „Quer.Kultur“ sammeln sie ein, was quer liegt. Es gibt kein Programmheft, aber einen ganzen Sack voller Ideen, mit denen sie quer durch Potsdam mit anderen Potsdamern ins Gespräch kommen möchten.

Wenn die beiden Vereins-Chefinnen Katharina Jung und Gabriele von Wuntsch über sie bewegende Themen ins Plaudern kommen, hat man das Gefühl, es müsste täglich eine Veranstaltung über die Bühne gehen, um ihre wachen kritischen Köpfe zu befriedigen, mit denen sie auch andere Quergeister begeistern möchten. Doch sie wollen ihr gerade erst begonnenes Vereinsleben eher sporadisch angehen, vielleicht mit einer Veranstaltung aller zwei Monate. Schließlich tanzen sie noch auf anderen „Hochzeiten“.

Mit keinem Geringeren als dem 1400-seitigen Schwergewicht „Zettels Traum“ des Avantgardisten Arno Otto Schmidt gaben sie Ende Januar ihren Einstand als Quer.Kultur – und alle 40 Stühle in der Galerie Ruhnke waren besetzt. Auch am morgigen Donnerstag sind sie wieder in der Bilderwelt Ruhnkes zu Gast. Diesmal laden sie in den hohen weißen Räumen ihres ebenfalls querdenkenden temporären Herbergsvaters zur „Flimmerstunde“ ein. Sie „werfen“ den Dokumentarfilm „Schön ist das Labyrinth“ an die Wand, der an den Maler Georg Grosz erinnert, dem „enfants terrible“ der 20er Jahre, den man wegen Pornografie und Gotteslästerung anklagte und der vor den Nazis in die USA flüchtete. Ein Emigrantenschicksal, über das der Verein mit dem Filmemacher Norbert Bunge ins Gespräch kommen möchte. Bunge, der inzwischen eine Fotogalerie in Berlin betreibt, gehört zum großen Freundeskreis der seit sechs Jahren in Caputh lebenden Gabriele von Wuntsch, die in Altersteilzeit als Kunstlehrerin in dem verrufenen Berlin-Neukölln arbeitet: „In einer ,Schule der Seligen’, in der die Kinder von der 1. bis zur 13. Klasse zusammenbleiben können und noch ganzheitlich gesehen werden.“

Die 62-Jährige, der Beruf, Familie, Garten und Haus als Lebenserfüllung nicht reichen, möchte sich langsam im Brandenburgischen erden und ihre Kulturpflanzen setzen. Sie arbeitet für die „Caputher Musiken“ und hat bereits Erfahrung im Organisieren kleinerer Veranstaltungen in privaten Räumen mit Saloncharakter. „Es gibt so viele Menschen, die über bestimmte Themen mehr wissen als andere und die gern dieses Wissen teilen.“

Die 65-jährige Katharina Jung ist längst in Potsdam angekommen. Sie leistete hier nach der Wende als erste Sozialrichterin Aufbauhilfe. Jetzt ist sie im Pfingstberg-Verein aktiv und arbeitet als Mediatorin an der Rosa-Luxemburg-Schule, wo sie begeistert jungen Menschen beibringt, ihre Konflikte auch ohne Handgreiflichkeit zu lösen. „In Potsdam habe ich das erste Mal ein Heimatgefühl“, sagt die umtriebige Jungrentnerin, deren Großvater einst an der Friedenskirche Vikar war. Sie lebte viele Jahre in Düsseldorf und machte sich, als ihr Kind aus dem Haus war, noch einmal allein auf den Weg. Nach Potsdam. In einer Ausstellung in der Galerie Ruhnke traf sie auf die gleichgesinnte Gabriele von Wuntsch. Nach vielen Diskursen über Gott und die Welt landeten sie schließlich bei der Idee, einen Verein zu gründen.

Die Frauen sind durchaus mit den Angeboten in Potsdam zufrieden. „Aber es kann ja nicht genug Kultur geben.“ In der zeitgenössischen Kunst und zeitgenössischen Musik sehen sie allerdings noch Defizite. Auch über verfemte Maler und Musiker würden sie gern Abende ausrichten. Und über den Dadaisten Kurt Schwitters. Einen Experten haben sie natürlich auch da an der Hand. Sympathie hegen sie zudem für das verrückte Projekt des Esslinger Musikers Roland Graeter, der wie sie Netzwerker ist und mit seiner experimentelle Musik ein Jahr unterwegs ist, um jeden Tag an einem anderen Ort Deutschlands mit anderen Musikern eine Session zu bestreiten. Wenn er am 30. November Potsdam erreicht, weiß er sich bei Quer.Kultur in besten Händen, der bereits dabei ist, hiesige Musiker zu aktivieren.

Vor den Frauen liegt während des anregenden Gesprächs die Streitschrift „Empört Euch“ des 93-jährigen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel, die in Frankreich eine Million-Auflage erzielte. Auch die möchten sie zur Diskussion bringen. „Warum empören sich die Deutschen nicht mehr?“, fragen sie sich und sehen eine mögliche Antwort in der Resignation und vielleicht auch in der Überforderung im Job. „Wir waren als junge Frauen begeistert von unseren Kräften und dachten, wenn wir schlau und beweglich sind, heben wir alles aus den Angeln und schaffen ein politisches Bewusstsein. Und wir haben durch die 68er Bewegung auch viel in punkto Mitbestimmung erreicht“, sagt Gabriele von Wuntsch. Sie würde sich wünschen, dass junge Leute auch heute etwas mehr von ihrem damaligen Lebensgefühl hätten.

„Die Ideen kommen auf uns zugeflogen“, sagen beide. Wenn ab Mai polnische Arbeiter freizügig in Deutschland arbeiten können, weil dann die Übergangsregelung endet, die den deutschen Arbeitsmarkt vor einer Gastarbeiterflut aus dem Osten schützen sollte – was bei vielen Deutschen eher Angst auslöst – zeigt der Verein polnische Trickfilme. Sie denken quer, um vorschnellen Antworten zu begegnen.

Quer-Kultur zeigt am morgigen Donnerstag um 19 Uhr in der Galerie Ruhnke den Film „Schön ist’s im Labyrinth“ über den Maler Georg Grosz. Eintritt 4 /erm. 2 Euro. Auszubildende, Schüler und Studenten haben freien Eintritt. Reservierung unter Tel:. (0331)50 580 86

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