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Kultur: Die selbst geschöpfte Tagliatelle

Kulturvoll essen: Ein kulinarischer Spaziergang vom Potsdam-Center bis zum Nauener Tor

Auch Kulturschaffende und -genießer haben einen biologischen Rhythmus, der vor allem dann in Wallung gerät, wenn man ihnen ganz besondere Leckereien anbietet, nicht nur zur Weihnachtszeit.

Den ersten kulinarischen Eindruck erhalten Potsdam-Besucher dort, wo man sie abholt. Das Bahnhof-Center allerdings überzeugt mit seinen Fischdüften, den asiatischen Imbissen und den periodisch auftauchenden Wurstständen aus allen deutschen Regionen zunächst nicht besonders. Läuft der kultivierte Gast über die Lange Brücke Richtung Stadt, holt ihn der Coca-Cola-Geruch ein, der aus dem libanesischen Restaurant im Marstall dringt, und jagt ihn, wenn er Glück hat, auf den Neuen Markt. Dort immerhin haben wir mit dem Restaurant Specker ein gehobenes und durchaus zufrieden stellendes Angebot, aber nicht jedermann und nicht jede Frau können sich diese Leckereien leisten. Die Ratswaage überzeugt mit ihren astrologisch angereicherten Gerichten auch nicht immer, und in der Nähe des Nikolaisaals, wenn wir über den Kanal mit seinen manchmal modrigen Gerüchen gefunden haben, wird der Genusssüchtige herb enttäuscht. Tote Hose, leerer Magen, und schon befinden wir uns auf der Brandenburger Straße, die uns wenigstens mit den kulinarischen Diensten von „Pfeffer und Salz“ versöhnt. Gehen wir die Jägerstraße ein Stückchen entlang, können wir in Fischgerichten nur so schwelgen, und im „Juliette“ die Freuden der Gourmet-Noblesse erleben, aber auch die Enge, die der französischen Hauptstadt entlehnt scheint. Wandern wir weiter zum Nauener Tor, sitzen wir im Sommer in durchaus weltläufiger Lässigkeit im Freien und wählen zwischen den einigermaßen erträglichen Gerichten der ansässigen Lokale. Mit jedem Löffelchen Tiramisu oder Mousse au chocolat nehmen wir da auch ein wenig der historischen Würde des Platzes in uns auf, so dass die meist mediokre Weinqualität nicht weiter stört. Nur im „La Cantina“ fließen die Weine samten über den Gaumen, aber auch da sind die Preise für denjenigen, der kulturell lebt und eventuell arbeitet, nicht immer erschwinglich.

Spazieren wir in die Mittelstraße, finden wir im „Guam“ meist Weine minderer Qualität und für den Magen lediglich am Nachmittag opulente Kuchen, dafür abends eine bunte Mischung jener Leute, die sich gern Intellektuelle oder Künstler nennen. Diese treffen sich, wir springen ein wenig in den Quadraten, tagsüber, wenn sie nicht gerade über ihren Computern oder im Atelier brüten, im „Backstoltz“, aus dem beständig der intensive Kulilnarienduft strömt. Hier kann Enge auch Nähe bedeuten und die Schaufenster lassen im Winter die Bühne draußen durchaus als ein Schauspiel erleben. Erfreulich sind die moderaten Preise. Und die angebotenen Speisen reizen mit Gewürzen aus der großen weiten Welt die neugierigen Geschmacksnerven – ein Muss für den Insider, der weiß, dass er zwischen zwölf und zwei sicher keinen Platz bekommen kann.

Leider hat, lassen Sie uns in schnellem Gang in die Mittelstraße zurücklaufen, das „M 18“ trotz der vielen Bilder an der Wand nicht wieder zu seiner Größe als Insider-Treff gefunden, seit die Besitzer wechselten. Neuerdings aber gibt es in der Gutenbergstraße wieder eine Pizzeria an alter Stelle, mit neuem Koch. Nun, ob die selbst geschöpften Nudeln das versprechen, was manche Leckermäuler behaupten, sollte jeder selbst herausfinden. Lore Bardens

Lore Bardens

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