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Kultur: Die Vollendete

Mozarts c-Moll-Messe in der Friedenskirche

Sollte man das, was als Torso überliefert ist, nicht auch als solchen akzeptieren? Oder käme jemand auf die Idee, der beidseitig armlosen Venus von Milo die fehlenden Gliedmaßen wieder anzumodellieren?! Auch bildhauerische Fragmente können vollendet sein. Musikalische ebenso. Ist Schuberts angebliche „Unvollendet“ nicht das beste Beispiel dafür?! Warum also Mozarts unvollendet gebliebene c-Moll-Messe KV 427 (die Gründe dafür sind und bleiben rätselhaft) nachträglich in ein formgerechtes Gefüge bringen und deshalb Teile (nach Skizzenvorlagen) sogar nachkomponieren?!

Erste Versuche, das Fragment zu komplettieren, unternahm Anfang des vergangenen Jahrhunderts Alois Schmitt, gefolgt von Franz Beyer (1989). Nun fühlte sich Robert D. Levin gleich dem „Requiem“-Vollender Franz Xaver Süßmayr berufen, die großformatige c-Moll-Messe zu formaler Geschlossenheit zu bringen. Künstlerisch will sich selbige allerdings nicht so recht herstellen. In den Neufassungen beispielsweise des „Crucifixus“ und „Agnus Dei“ ist sein Bemühen um Historizität zu verspüren. Doch Mozarts Geist vermochte er leider nicht zu beschwören. Und so sind die Brüche zwischen den originellen Originalen und den reichlich konventionell bleibenden Rekonstruktionen deutlich zu hören.

Würdevolles bis festlich-jubilierendes Pathos durchzieht das Werk von Anfang bis Ende und wird zur Richtschnur für Matthias Jacobs Deutung mit dem Oratorienchor Potsdam, dem Neuen Kammerorchester Potsdam und einem stimmfrischen Solistenquartett in der Friedenskirche. Das Gotteshaus kann die Interessierten kaum fassen. Gleichsam zeremoniell beginnt die „Kyrie“-Anrufung, kraftvoll vom Oratorienchor vorgenommen und mit dem erforderlichen schmerzvollen Gestus ausgestattet. Bei der Ausdeutung des „eleison“ folgt ihm die mollgetönte Weichheit der geschmeidig intonierenden Sangesgemeinschaft. Sie findet sich, klarstimmig und homogen, im „Gloria“ zu festlichem Jubel. Der aufgeheizten Dramatik sind sie dabei genauso auf der spannenden Spur wie der posaunenumglänzten Feierlichkeit des „Sanctus“. Enthusiastisch stimmen sie die „Cum sancto spiritu“-Fuge an.

Als durchweg mitgestaltender Partner erweist sich das Neue Kammerorchester Potsdam. Es wird vom Dirigenten zeichengeberisch sehr aufmerksam bedacht, sucht sein Heil in leidenschaftlichem Musizieren. Doch auch die lyrischen Abschnitte entbehren nicht der anteilnehmenden Intensität und Klangschönheit. Dynamisch geht es dabei sehr differenziert und sinnerfüllt zu. Packend und paukengesättigt verkündet das „Credo“ sein Glaubensbekenntnis in schlichter, aber umso eindringlicherer Diktion. Matthias Jacob hält Chorsänger wie Musiker am straffen Zügel. Die Gesangssolisten erfreuen sich ebenfalls seiner Hinwendung und fürsorglichen Klangunterstützung.

Mit ihrem hell klingenden und klaren Koloratursopran voller lyrischer Anmut begeistert Katherina Müller vom ersten Takt ihrer „Kyrie“-Arie. Mühelos jubiliert sie in höchsten Höhen, glänzt und strahlt nach Herzenslust. Fast scheint das Auditorium den Atem anzuhalten, als sie das berühmte Solo „Et incarnatus est“ voller inbrünstiger Beseelung anstimmt. Ihre wunderschönen Pianissimi und ihre makellose Tonbildung verdienen höchste Anerkennung.

Den Anforderungen des zweiten Sopranparts (beispielsweise in der Arie „Laudamus te“) stellt sich Talia Or mit opernlieblicher Souveränität. Den Sopran-Duetten verleiht ihr gedeckteres Timbre eine reizvolle „Füllfarbe“. Kräftig, mit heldischem Aplomb und stimmlich sich immer ein wenig in den Vordergrund drängend singt Mario Trelles Dias den Tenorpart. Für die spärlichen Bass-Einsätze (im „Benedictus“ und „Dona nobis pacem“) ist Kai-Uwe Fahnert mit stimmlicher Solidität zur Stelle. Letztere Bitte um Seelenfrieden kommt hymnisch, glanzvoll und leichtfüßig wie ein Opernfinale daher. Ob es Mozart auch so komponiert hätte, wenn er es eigenhändig niedergeschrieben hätte? Nach knapp anderthalb Stunden (zu Mozarts Zeiten mussten die Messen schon nach zwanzig Minuten beendet sein) ist das Werk vorüber. Der klangüppigen Wiedergabe des vollendeten Torso folgt enthusiastischer Beifall.

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