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Anna Vinnitskaya

© Marco Borggreve

„Diese Musik ist einfach ehrlich“: Pianistin Anna Vinnitskaya bringt Rachmaninow in den Potsdamer Nikolaisaal

Die gefeierte Virtuosin Anna Vinnitskaya kommt zur Kammerakademie Potsdam – und setzt in drei Konzerten persönliche Schwerpunkte. Los geht’s diesen Sonnabend.

Von Babette Kaiserkern

Seit ihrem Erfolg beim berühmten Brüsseler Königin-Elisabeth-Concours, den sie als zweite Frau in der Geschichte des Wettbewerbs gewann, gehört Anna Vinnitskaya zu den großen Pianistinnen unserer Zeit. Nun kommt die gefeierte Virtuosin zur Kammerakademie Potsdam und setzt in drei Konzerten persönliche Schwerpunkte.

Aus heutiger Sicht wirkt es wie ein gutes Vorzeichen, dass die Zusammenarbeit zwischen Anna Vinnitskaya und der Kammerakademie vor fünf Jahren mit Johann Sebastian Bach begann. Die dabei entstandene CD mit Konzerten für ein bis vier Klaviere löste begeisterte Zustimmung aus. Beteiligt war auch Evgeni Koroliov, der für seine feinnervig strukturierten Bach-Interpretationen bekannt ist – und Anna Vinnitskayas Lehrer war.

Vom „Urvater der Harmonie“, wie Beethoven Johann Sebastian Bach nannte, bis zu Sergei Rachmaninow führt ein langer Weg durch die Geschichte der Musik. Doch gerade diesem Komponisten, der die Klavierkunst wie kein anderer in das 20. Jahrhundert geführt hat, fühlt sich Anna Vinnitskaya sehr nahe.

Ich möchte gern, dass noch mehr Menschen etwas über dieses Konzert erfahren.

Anna Vinnitskaya über das Rachmaninow-Klavierkonzert

Nach ihrer Meinung wird Rachmaninows Musik aufgrund falscher Interpretationen oft missverstanden: „Auf seinen eigenen Aufnahmen spielt er ernsthaft und klassisch und das klingt gar nicht nach dem schnulzigen Hollywood-Komponisten, auf den er oft reduziert wurde.“ Besonders bekannt sind sein zweites und drittes Konzert mit ihren opulent-virtuosen Klaviergesten.

Für die Premiere mit der Kammerakademie Potsdam wählte Anna Vinnitskaya das selten aufgeführte erste Klavierkonzert von Rachmaninow aus. Der frühreife Meister schrieb dieses Werk mit 17 Jahren noch während seines Studiums am Moskauer Konservatorium. „Bei diesem Konzert versteht man den künstlerischen Werdegang von Rachmaninow“, sagt Anna Vinnitskaya im Gespräch mit den PNN, „es hat noch viele Einflüsse von Edvard Grieg, Franz Liszt und selbst von Claude Debussy.“

Der Großvater schickte einen Flügel aus St. Petersburg

Beim Konzert am kommenden Sonnabend im Nikolaisaal wird sie die zweite, sehr viel schlichtere Fassung spielen. „Es ist eine sehr schöne, frühlingshafte Musik und es gibt so viele Gefühle darin. Diese Musik ist einfach ehrlich. Ich möchte gern, dass noch mehr Menschen etwas über dieses Konzert erfahren“, äußert die unprätentiös wirkende Pianistin und erzählt ohne Umschweife, wie sie quasi ganz natürlich zum Klavierspielen „gebracht“ wurde.

In der Dreizimmerwohnung in Noworossijsk am Schwarzen Meer, wo sie aufwuchs, gab es zunächst nur einen Flügel – obwohl beide Eltern Pianisten waren. Das änderte sich erst, als der Großvater, einst Chefdirigent in Odessa, der Sechsjährigen einen Flügel aus St. Petersburg schickte.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass sie mit dem Klavierspielen beginnen sollte. Bald darauf fuhr die Mutter alle zwei Wochen mit der kleinen Anna nach Rostov am Don zum Klavierunterricht bei Sergei Ossipienko. Anschließend setzte die gebürtige Russin mit polnischen und jüdischen Vorfahren ihr Studium bei Evgeni Koroliov an der Hochschule für Musik in Hamburg fort. Mit nur 26 Jahren erhielt sie dort selbst eine Professur.

Die pädagogische Tätigkeit gefällt ihr sehr: „Es macht Spaß, mit jungen Leuten zu kommunizieren und einfach zu gucken, wie mutig und ideenreich sie Klavier spielen. Das bringt auch mich noch weiter.“ Zu alldem tritt die Mutter dreier Kinder mit renommierten Orchestern in aller Welt auf und gibt Solo-Klavierabende. Doch man sollte den Musikerberuf nicht wählen, um Geld oder Ruhm zu verdienen, meint Anna Vinnitskaya. Sondern nur dann, wenn man selber ohne Musik nicht leben könne.

Solch ein Mensch war wohl der polnisch-jüdische Komponist Mieczyslaw Weinberg. Obwohl zu den herausragenden Komponisten des 20. Jahrhunderts zählend, geriet sein umfangreiches Werk in Vergessenheit. „Ein guter Komponist, ein guter Mann mit einem rechtschaffenen Charakter, aber definitiv zu bescheiden“, urteilte Dmitri Schostakowitsch über seinen Freund.

Auch Anna Vinnitskaya schätzt Weinbergs „wunderbare, sprechende Musik“ überaus. Bei einem Kammermusikabend im kommenden März wird sie mit Solisten der Kammerakademie dessen Klavierquintett op. 18 spielen sowie Robert Schumanns viel bewundertes Es-Dur-Quintett.

Die Pianistin sieht dem Aufenthalt in Potsdam, einer „Stadt mit sehr viel Kunst, Kultur und insbesondere mit Musik“, freudig entgegen. Was einst mit der Musik von Johann Sebastian Bach begann, endet auch damit. Zum Abschluss der Saison mit der Kammerakademie erklingen im Juni 2024 Klavierkonzerte von Bach und Schostakowitsch.

Anna Vinnitskaya zweifelt nicht daran, dass die Musik überleben wird: „Wir hören Bach seit über 300 Jahren. Die Musik existiert auch ohne uns. Wir sind nur Menschen, die diese wunderbare, geniale Musik weitertragen.“

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