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Mischung aus Tastenpoesie und -leidenschaft. Marianna Shirinyan.

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Kultur: Draufgängerisch

Marianna Shirinyan bei der Kammerakademie

Unfälle im Haushalt passieren häufiger. Auch Dirigenten sind nicht von gefährlichen Blessuren durch ihre Arbeitsgeräte gefeit. So hatte einst Jean-Baptiste Lully bei einem Konzert zur Genesung seines Königs sich durch heftiges Aufstampfen mit der Spitze seines langen Taktierstabes den Fuß verletzt, was zur Blutvergiftung und schließlich zum Tode führte. Nicht weniger gestenreichen Zeicheneifer zeigte Antonello Manacorda während der Proben zum 5. Sinfoniekonzert seiner Kammerakademie, bei denen er sich den Glasfibertaktstock mit der rechten Hand in die linke stieß. Die abgebrochene Spitze ist bis heute nicht auffindbar und im Handballen sei sie auch nicht, so die Ärzte. Dennoch lässt er vor Konzertbeginn am Samstag im Nikolaisaal ein entsprechendes Hand-Handicap ansagen. An seiner impulsiven Zeichengebung ändert das erfreulicherweise fast nichts.

Bei der einleitend erklingenden Novität „Nachklänge – Echos“ von Ulrich Alexander Kreppein kann er sich zeichengeberisch noch schonen. Denn die von der Kammerakademie aus Anlass des 300. Geburtstages Friedrichs II. in Auftrag gegebenen „Klangbilder aus Friedrichs Welt“ erweisen sich als eine leise, reflexive, in großer Ruhe sich ausbreitende Annäherung an eine vergangene Musikepoche, die vom flötenden König und seinem komponierenden Umfeld bestimmt ist. Folglich finden sich Zitate von Bach, Graun und aus monarchischer Feder zuhauf: traumverloren, eingebettet in eine schattenhafte moderne Klangwelt. Flötensequenzen und Nachsinnendes, wie aus längst vergangenen Tagen Heraufdämmerndes wird auch von Holzbläsern und Celli anrührend gespielt. Manches davon gleicht irrationalen Erinnerungsfetzen. Sie münden in Geräusche, die aufgewirbelten Staubwolken ähneln. Unüberhörbar Kreppeins Vorliebe für extrem hohe Lagen, die sich wie eine Lasagne schichten. Doch die Echos, als Fragen an die Vergangenheit gerichtet, werden immer leiser, verstummen schließlich. Die Uraufführung wird mit herzlichem Beifall aufgenommen.

Zum Jubelorkan wächst dagegen die finale Zustimmung für die kurzfristig eingesprungene armenische Pianistin Marianna Shirinyan an, die Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur op. 58 in einer imposanten, die Sinne schier überwältigenden Mischung aus Tastenpoesie und -leidenschaft vorträgt. Voller körperlicher Hingabe gleich einem wogenden Kornfeld beteiligt sich das Orchester an den perfekt ausgeformten Kontrasten zwischen großer Ruhe und explosiver Intensität. Der Pianistin kristalliner Ton funkelt voller Reinheit und dynamischen Feinschliffs. Sie hämmert Ausrufezeichen, knüpft farbige Trillerketten, liebt rasante Tastenläufe. Wie einst Orpheus bezwingt auch ihr Spiel die Furien an der Hadespforte, jubiliert sie den Sieg über die Mächte der Unterwelt. Orchester und Dirigent schwingen mit ihr auf gleicher Wellenlänge. Den Ovationen dankt sie mit Franz Liszts „Le Peregrines“.

Zum Abschluss des Konzerts lässt Antonello Manacorda bei der impulsiven, federnden, spritzigen und spannungsgeladenen Wiedergabe von Franz Schuberts rossininaher 6. Sinfonie alle Linkehandvorsicht dahinfahren. Doch es geht auch elegant und heiter zu, in mancherlei kecker Verwandlung anmutig flanierend auf dem Wiener Boulevard. Verhalten, dann wieder draufgängerisch oder sich im kammermusikalischen Parlando wiederfindend ist des hörenden Entzückens kein Ende. Und wenn Flöte/Oboe sowie Klarinette immer wieder ihre Stimme erheben, vermeint man Figuren der Commedia dell’arte zu begegnen. Peter Buske

Peter Buske

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