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Mit Bach fing der Jazz an. So sieht es zumindest der finnische Pianist Iiro Rantala. Und wer ihn bei seinem Soloauftritt im Rahmen von „theartof Piano“ erleben durfte, glaubt ihm das sofort.

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Kultur: Drei Abende Genuss

„theartof Piano“ huldigte dem Jazzklavier und feierte den gelungenen Auftakt einer neuen Reihe

Mit Iiro Rantala kamen gute Nachrichten nach Potsdam. Gerade hatte der Finne die ersten Lieder an diesem Samstagabend gespielt, darunter „Thinking of Misty“, seine Hommage an den Pianisten Eroll Garner, der den Standard „Misty“ komponiert hat. Drei sich wiederholende Töne in einer Endlosschleife als Basso continuo, darüber eine herrlich treibende, in ihrer Einfachheit betörend schönen Melodie. Eine für Rantala so typische Komposition, die nur wenig mit Eroll Garners flirrender Spielweise zu tun hat. Und als ob Rantala entsprechend kritische Nachfragen befürchtete, erklärte er kurz in seiner humorvollen Art, dass „Thinking of Misty“ deshalb nicht nach Garner klinge, weil er beim Komponieren schließlich nur an diesen gedacht habe. Dann fügte Rantala hinzu, dass er gute Nachrichten mitgebracht habe. Denn, wie er gleich zeigen werde, Johann Sebastian Bach war der erste Jazzmusiker. Demzufolge sei der Jazz also eine deutsche Erfindung. Und mit breitem Lächeln begann er die Aria aus den Goldberg-Variationen zu spielen. Herrlich eigenwillig, ganz im freien Jazzduktus. Es folgte die erste der Variationen in sprudelnder Wildheit, von der sich Rantala in seine eigenen Improvisationen gleiten ließ. Selbst nutzte man diesen Moment, um sich zurückzulehnen und sich bewusst zu werden, was hier gerade wie ganz selbstverständlich passierte.

Zweiter Tag beim Festival „theartof Piano“ in der Schinkelhalle. Der Auftakt einer neuen Reihe des Waschhauses, in der sich das Team um Geschäftsführer Siegfried Dittler entweder einem Instrument, einem Musiker oder einem Thema widmet. Den Anfang machte das Jazzklavier. Mit Aki Takase und Alexander von Schlippenbach, dem Tingvall Trio und Iiro Rantala waren exquisite Gäste nach Potsdam geladen worden. Für den Freund des Jazzklaviers an drei Abenden Delikatessen satt. Aber es war zu befürchten, dass die Zahl dieser Freunde überschaubar bleiben würde, dass man sich als Zuhörer und Genießer dann doch irgendwann so ziemlich verloren fühlen würde in der Schinkelhalle. Und dann das.

Schon am ersten Abend mit Aki Takase und Alexander von Schlippenbach waren gut 100 Zuhörer gekommen. Ein anspruchsvoller Auftakt. Vor allem intellektuelle Herausforderung und dann Genuss. In ihrem Soloprogramm widmete sich die Japanerin dem großen Duke Ellington. Temperamentvoll und kantig. Wie Versatzstücke nutzte sie das Typische in Ellingtons Spiel, in seinen Kompositionen. Einzelne Elemente, die sie anfangs wie schwere Brocken bearbeitete, um daraus Melodisches aufsteigen zu lassen. Ihr musikalischer und Lebenspartner Alexander von Schlippenbach dagegen schätzt das Ausschweifende, das Thema aus dem breiten Spiel. Weit ausholend arbeitete sich von Schlippenbach, tief über die Tastatur gebeugt, immer tiefer in seine kompositorischen Welten vor. Ein Durchleuchten und Hinterfragen, ein Zerlegen und neu Zusammensetzen, immer verbunden mit der überraschenden Freude an dem, was da auf dem Weg von seinem Kopf über die Finger durch die Tasten und Saiten faszinierend Neues entstand.

Im Zusammenspiel begaben sich Aki Takase und Alexander von Schlippenbach dann sehr oft in einen ganz eigenen Kosmos, in den ihnen zu folgen immer schwerer wurde. Hier verschwammen die Grenzen zwischen Jazz und der Neuen Musik, entstanden äußerst abstrakte Klanggebilde, faszinierend geformt durch die so unterschiedliche, aber darum nicht gegensätzliche Spielweise dieser beiden Ausnahmepianisten.

Ganz das Gegenteil dann Iiro Rantala am nächsten Tag. Seine Spielart des Jazz bedeutet immer Genuss. Ausschweifende Einfachheit und Leichtigkeit. Aber einfach ist bei ihm nicht schlicht. Rantala schätzt das Schöne der Melodie. Und sein Ideenreichtum im Ausschmücken dieser Melodien scheint dabei unerschöpflich. Gepaart mit seinem trockenen Humor muss man den Auftritt von Rantala bei „theartof Piano“ als Höhepunkt bezeichnen. Allein schon mit welchem Vergnügen er wiederholt das Wort Schinkelhalle aussprach. Oder sein ständiges Heben der rechten Hand um dem Publikum zu signalisieren, dass jetzt der komponierte Teil ende und er nun mit der Improvisation beginne. Und man sitzt und genießt und staunt. Über 150 Gäste sind zum Konzert von Rantala gekommen. Vor allem ältere Semester, nicht das typische jugendliche Publikum, das man mit dem Waschhaus verbindet. Die Atmosphäre in der Schinkelhalle ist perfekt für dieses Klavierfestival, auch der Klang ist hervorragend. Und dass am Sonntagabend mit dem Tingvall Trio zum Abschluss gut 200 Gäste gekommen sind, hat dann schon nicht mehr überrascht.

Pianist Martin Tingvall, gebürtiger Schwede, ist wie Rantala in Sachen Jazz ein Genussmensch. Wer ihn von seinem Soloalbum „En Ny Dag“ kennt, wird einen verträumten, lyrisch inspirierten Feingeist erwartet haben. Doch im Zusammenspiel mit dem Bassisten Omar Rodriguez Calvo und dem Schlagzeuger Jürgen Spiegel wird Tingvall, ja man muss es so sagen, zum Rock’n’Roller im Jazz, den es manchmal kaum noch hinter dem Klavier hält. Wie bei „Vattensaga“, das sich förmlich zur Naturgewalt aufbäumt und in seinen wildesten Momenten einem musikalischen Vulkanausbruch gleicht. Ein hoch impulsiver Abend voller Spielfreude, dem Bassist Calvo mit seinen raffinierten Improvisationen zahlreiche Glanzpunkte verlieh. Und der auch wunderbar feine Momente mit Balladen wie „Väg in“ bereithielt. Musik, in die man förmlich eintauchen konnte, die man regelrecht trinken wollte.

Oft genug hat man in der Vergangenheit gedacht, dass das Potsdamer Kulturangebot breit genug ist, da braucht es nicht zwingend mehr. Siegfried Dittler und sein Waschhaus-Team haben mit „theartof Piano“ an drei Abenden gezeigt, wie sehr man sich doch irren kann.

Dirk Becker

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