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Kultur: „Drei Orangen“ und Harfenzauber

Harfenvirtuose Xavier de Maistre im Nikolaisaal

Wie dicht und weitläufig zugleich gewebt die Raum und Zeit durchquerende Musik ist, zeigte sich einmal mehr beim Symphoniekonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt/Oder im ausverkauften Nikolaisaal. Obwohl alle aufgeführten Kompositionen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammten und russischen Ursprungs waren, besaß doch jede für sich höchst individuelle Gestalt. Unter der Leitung von Manel Valdivieso, der für Howard Griffith eingesprungen war, erklangen drei symphonische Meisterwerke von Sergej Prokofjew, Reinhold Glière und Igor Strawinsky. Der französische Harfenvirtuose Xavier de Maistre sorgte für Glanzlichter in einem auch sonst keineswegs unterbelichteten Konzert.

Dass Sergej Prokofjews als Enfant terrible der russischen Musik und als „wilder“ Klavierspieler Furore machte, ist seinem Kinder-Klassiker „Peter und der Wolf“ kaum noch anzumerken. Wie übermütig und freizügig er dagegen bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Russland komponierte, zeigt sich in der Suite „Die Liebe zu den drei Orangen“. Zunächst als Oper nach einem Stoff des italienischen Komödiendichters Carlo Gozzi konzipiert, vermag auch das Orchesterwerk mit seiner spielerisch-effektvollen, ironischen Tonsprache bis heute zu faszinieren. Scharfe Akzente, stampfendes Staccato, schaurige Schreckensakkorde im Tritonus-Intervall markieren die böse Welt der Hexe. Schmissig und schräg erklingt der kleine Marsch mit Xylophon und Glockenspiel. Selbst das schleierhafte Säuseln der Violinen, gefolgt vom hellen Ton der Viola und dem seriösen Murmeln der Celli klingt nie mit falschem Pathos. Subtile harmonische Wechsel erzeugen magische Momente, bevor diese bei der grell-grotesken Verfolgungsjagd endgültig zerrinnen.

Nach dieser punktgenauen, neoklassizistischen Darbietung glaubt man kaum, dass Reinhold Glières Harfenkonzert weit später als Prokofjews „Drei Orangen“ entstanden ist. Von den diatonischen Anfangsklängen des melodischen ersten Themas bis zu den satten harmonischen Schlussakkorden gleicht es mehr einem klassisch-romantischem Konzert als einem Werk des 20. Jahrhunderts. Die quasi aus ihrer Zeit fallende Klangsprache und die Klarheit der Formen von Reinhold Glière trugen dem deutschstämmigen Komponisten jedoch großen Zuspruch ein, der bis heute anhält. Selbst Neutöner Prokofjew zählte einst zu seinen Kompositionsstudenten. Glières einziges Harfenkonzert ist nicht nur ein Virtuosenstück ersten Ranges, sondern ein ganz besonderer Ohrenschmaus. Der Zuhörer kann durch wohlige Klangfelder flanieren und sich an irdischen und himmlischen Tonleitern erfreuen. Letztere kommen hauptsächlich von der Harfe, die von Xavier de Maistre meisterhaft gespielt wird. Mal biegen sich die Töne wie schlankes Schilfrohr, mal glitzern sie wie silbrige Lichtreflexe auf fließendem Wasser, mal klingen sie durchdringend und kräftig wie die Saiten einer Gitarre. Mit zwei Zugaben belohnt der französische Ausnahmeharfenist den begeisterten Applaus. Auf den Tanz aus „La vida breve“ von Manuel de Falla, der, seltenes Ereignis, nicht ganz beendet wurde, folgte eine betörende Harfen-Fantasie des englischen Virtuosen Elias Alvar-Parish „La mandoline“. Auch ohne den Titel zu kennen, konnte man hören, dass dabei der flirrende Klang der Mandoline berückend imitiert wird.

Nach der Pause folgt mit Igor Strawinskys Petruschka-Suite ein weiteres Werk der klassischen Moderne. Die überschäumende Komposition über die Leiden der Gliederpuppe Petruschka auf dem Jahrmarkt frappiert bis heute mit radikaler, opulenter und tumultuarischer Tonsprache. Zumal, wenn die rasch vorbeiziehenden, subtil gemixten, stark rhythmischen Klangsegmente so treffsicher und präzise hervorgebracht werden wie beim Brandenburgischen Staatsorchester. Nicht zuletzt der feste Zugriff des Dirigenten Manel Valdivieso trägt zum erfolgreichen Gelingen dieses facettenreichen Konzertabends bei. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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