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Von Babette Kaiserkern: Drei Schwestern zwischen Frust und Hysterie Unidram-Festival wurde mit moderner Version von Tschechows „Drei Schwestern“ eröffnet

Wohl kaum ein Theaterstück stellt die Sinnfrage dermaßen notorisch wie Anton Tschechows „Drei Schwestern“. Irgendeinen Sinn muss dieses Leben doch haben, fragen sich die drei Schwestern.

Wohl kaum ein Theaterstück stellt die Sinnfrage dermaßen notorisch wie Anton Tschechows „Drei Schwestern“. Irgendeinen Sinn muss dieses Leben doch haben, fragen sich die drei Schwestern. Arbeiten, Heiraten, Kinderkriegen – kann das alles sein? Davon kann die unerträgliche Sehnsucht ihrer Seelen nicht erfüllt werden. So stimmen sie ein Lied von der Langeweile, vom Warten und vom Traum des guten, wahren, sinnvollen Lebens an.

Tschechows deprimierendes Seelendrama aus dem Jahr 1901 eröffnete am Donnerstagabend das Potsdamer Theaterfestival Unidram im T-Werk. Bevor jedoch die Feinheiten der frech-modernen Inszenierung von Carola Unser betrachtet werden konnten, mussten vom Publikum drei Reden angehört werden. Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) und Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hielten die üblichen politischen Schönwetterreden. Einzig Thomas Grünewald, Vizepräsident der Universität Potsdam, fand ein paar kritische Worte und betonte das utopische Potenzial von Tschechows Stück: „Lassen Sie uns die Sehnsucht nicht ganz so resolut abschaffen!“, appellierte er an das Publikum.

„Schluss mit Sehnsucht!“ lautet der schneidige Titel, den Regisseurin Carola Unser ihrem Theaterstück nach Anton Tschechow gegeben hat. Die 34-Jährige erregte bereits mit verschiedenen Inszenierungen recht viel Aufsehen. Mit den „Drei Schwestern“ schloss sie in diesem Jahr ihr Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg ab. Seit kurzem leitet Carola Unser die bühne, das Theater der TU Dresden.

In dem Stück erzählt Tschechow von drei jungen Schwestern, die seit elf Jahren in der russischen Provinz leben. Nach dem Tod der Eltern wurden sie vom Bruder Andrej aufgenommen. Sie träumen von Moskau, der Stadt ihrer Kindheit, die ihnen zur Chiffre von Glück und Erfüllung wird. Hin- und hergerissen von ihren Träumen von Liebe und Leben, verbringen sie ihre Zeit mit Reden. Keiner ihrer Wünsche erfüllt sich, am Ende steht mehr Enttäuschung und Unglück als zu Beginn.

Konsequent entschlackt und komprimiert Carola Unser Tschechows lang und breit gedehntes Rededrama, das die Vergänglichkeit reflektiert und das mit seinen handlungslosen Redeflüssen oft, je nach Inszenierung, die Langeweile produziert, von der die Rede ist. So werden aus drei Stunden rund neunzig Minuten Aufführungszeit. Historische Bezüge spielen keine Rolle mehr. Im Zeitalter der Globalisierung, kann der Ort der Sehnsucht statt Moskau genauso gut London, Paris oder New York sein, heißt es an einer Stelle. Was übrig bleibt, sind die existenziellen Sinnfragen, die Olga, Mascha und Irina stellen, gelegentlich auch ans Publikum: Was ist der Mensch? Wozu all das überflüssige Wissen? Warum ist unser Leben so langweilig, so unerträglich? Wo ist das Glück?

Die jungen Schauspielerinnen repräsentieren diese drängende Suche ganz hervorragend. Solveig Krebs gibt eine herrlich verbitterte, illusionslose Lehrerin Olga. Lisa Grosche spielt Mascha als junge Frau zwischen zwei Männern in einem Wechsel von Frustration und Hysterie. Die jüngste Schwester Irina wird von Saskia Boden temperamentvoll und extrovertiert gespielt, ein leicht zu beeinflussender, exaltierter Teenie. Das männliche Personal besteht nur aus Werschinin und Kuligyn, wobei in ihnen auch Elemente der anderen, in der Vorlage vorhandenen Figuren, stecken. So deklamiert letzterer die berühmte Rede des André: „Die Menschen wandelnde Leichname wie ihre Mütter und Väter.“

Den Werschinin gibt Sascha Rotermund mit cooler Attitüde, während Kuligyn bei Jacob Weigert zwischen Selbstmitleid und Verliebtheit pendelt. Auch die Eifersuchts- und Mordszene wird drastisch dargestellt, anders als im Original, wo sie nur erzählt wird. Dazu laufen Videos mit russischen und amerikanischen Staatsführern, ein Ego-Shooter-Spiel läuft im Hintergrund, Punk-, Techno- Rapmusik erklingt. Man ist also heute angekommen, die Fragen sind aber dieselben geblieben. Darüber schwebt das herzige Bild der drei Schwestern im Goldrahmen. Den zwiespältigen nihilistischen Existenzialismus der Tschechowschen Fragen beendet die Regisseurin kurzerhand mit dem simplen Appell: „Wir müssen einfach leben!“ Tja, wenn alles so einfach wäre, dann hätte Tschechow wohl nicht solch ein Stück voller Zweifel und Verzweiflung geschrieben. Dennoch ein gelungener Auftakt des Unidram-Festivals.

Heute, 20 Uhr im T-Werk (Schiffbauergasse/Schirrhof): „Portrait“, Tanztheater, Deutschland-Premiere, Ioana Mona Popovici & NANOHACH.

Babette Kaiserkern

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