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Kultur: Duftig bis deftig: „Der Nussknacker“

Ballettmusik mit Erzählung im Nikolaisaal

Stolz zeigen sich die Mädchen in ihren neuen Kleidern, die Jungs in der Designerjeans. Vater führt seine jungfräuliche Krawatte vor, Mama die familiengesponsorte Stola. Im Foyer des Nikolaisaals ist das Defilee garderoblicher Weihnachtsgeschenke in vollem Gang. Doch noch sind an diesem 1. Weihnachtstag die Türen zum Großen Saal geschlossen. Das erinnert ein wenig an Heiligabend, kurz vor der Bescherung. Der Dichter E.T.A. Hoffmann hat diese Stimmung in seiner phantastischen Erzählung vom „Nussknacker und Mäusekönig“ bezaubernd eingefangen. Peter Tschaikowski hat daraus eines seiner beliebtesten Ballette gemacht: „Der Nussknacker“. Das nun schenkte der Nikolaisaal als (nicht ganz komplette) Ballettmusik mit Erzählung seinen kleinen wie großen Gästen, die die Plätze bis auf den letzten Platz füllen.

Kaum sind die ersten Takte der Ouvertüre erklungen, übt sich ein älterer Herr namens Lutz Lansemann im Gedichtaufsagen. Holprig geht es vonstatten, doch flugs verwandelt er sich mit hinreißender Mimik, Gestik und Sprache in den Knaben Fritz, der zusammen mit der nicht minder köstlich imaginierten Schwester Marie die Weihnachtsvorbereitungen im Hause seiner Eltern durchs Schlüsselloch beäugt. Die Erziehungsberechtigten Luise und Karl Friedrich nehmen dank der sprachlichen und schauspielerischen Gestaltungskunst Lansemanns ebenfalls fast greifbare körperliche Gestalt an. Einmal in Fahrt, gibt er auch gleich noch den Drosselmeier. Er zaubert verbal von Blumen bis zum Kaninchen alles aus dem (Sprach-)Hut, auch eine Puppe aus Holz - den Nussknacker. Nicht weniger herrlich, wie er die Verwandtschaft präsentiert. Gar köstlich, wie er als plattdütsch snakender Großvadder parliert, sich eine Geigerin vom Brandenburgischen Staatsorchester zum Tanze holt und das Publikum zum Mitmachen animiert. Das lässt sich nicht lange bitten! Ein-Mann-Theater der Vorzüglichkeiten, wie man es eben nur Weihnachten geschenkt bekommt.

Die Kinder sind ganz Auge und Ohr. Und ganz still. Und singen sogar mit, wenn es der Mime von ihnen verlangt. Ein Rattenfänger der großen Gefühle ist er, der jedermann in Bann zu ziehen versteht. Und alle folgen ihm willig in das Reich der Poesie. Ein Verführer auf die denkbar angenehmste Art.

Doch bei seiner schier übermächtigen Bühnenpräsenz liegt die Gefahr nahe, dass die herrliche Tschaikowskische Musik oft untergeht, die das Staatsorchester unter Leitung von Frank Strobel leichtfüßig, ohne romantisch-klebrigen Ballast zum Klingen bringt. Duftig bis deftig geht es dabei zu; geradezu theatralisch bei der Wiedergabe des Kampfes der Zinnsoldaten gegen die Horde des Mäusekönigs. Mit kindlicher Freude an der (Klang-)Bescherung nehmen sich die Musiker auch des zweiten Teils an, in dem sich Marie mit ihrem Nussknacker-Prinzen im Reich der Zuckernäschereien wiederfindet. Da gehen wir auf einer Kandiswiese spazieren, umrunden den Mandelmilchsee, streifen durchs Schokoladenwäldchen, unternehmen einen Rundgang durchs Marzipanmärchenschloss.

Wovon Lansemann erzählt, entbehrt dabei nicht der modernen Sprache. Wenn gar von Fruchtzwergen oder Schleckermäulchensmarties die Rede geht, wissen die Kinder, dass man nah an ihrer Vorstellungswelt ist. Nur schade, dass bei dieser Aktualisierungsmanie die Namen der leider mit viel Text überfrachteten Tänze verballhornisiert werden. Schade auch, dass der abschließende Blumenwalzer zur Klamotte verkommt. Der Stimmung tut“s keinen Abbruch. Der Jubel kennt fast keine Grenzen. Überall nur glückliche Gesichter.

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