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Von Peter Buske: Egomane formt Glamourgirl

Jubel um die Premiere des Broadway-Musicals „My Fair Lady“ am Hans Otto Theater

„Wo sind denn, verdammtnochmal, meine Pantoffeln“, räsoniert der alleingelassene Phonetikprofessor Henry Higgins in seinem Arbeitszimmer. Er kann sie nicht finden, hofft, dass die durch ihn zur Lady gewordene „kannibalische Schlampe und Rinnsteinpflanze“ Eliza Doolittle sie ihm bringen wird. Schließlich ist der eingefleischte Junggeselle in sie verliebt, was er sich allerdings nicht eingestehen will. Doch sie, zuvor von ihm machorüde in ihren Gefühlen verletzt, gibt ihm einen Korb. Denn zum Hausschuhapportieren und dergleichen „Heimchen am Herd“-Aufgaben bei ihrem Sprachlehrer, Wettkampfsieger und Personenumkrempler ist sie nicht bereit. Ein letzter stummer Blick – dorthin, wo die Latschen liegen, nämlich unterm Schreibtisch – dann geht man aneinander vorbei und endgültig auseinander.

Ein Happy End kennt die Inszenierung des Broadway-Musicals „My Fair Lady“ am Hans Otto Theater nicht. Für Regisseur Nico Rabenald ist die Story (nach Bernhard Shaws „Pygmalion“) des Buchautoren und Liedtexters Alan Jay Lerner mit der Musik von Frederick Loewe mehr als nur eine Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichte. Hier geht es um gewichtige Fragen wie soziale Identität, menschliches Verantwortungsbewusstsein anderen gegenüber. Was passiert, wenn egomanisches Verhalten soziales Gefüge ins Wanken bringt? Die Autoren haben solche Fragen witzig und frech, pointenreich und musikspritzig in einem der am häufigsten gespielten Musicals abgehandelt. Die Potsdamer Inszenierung hält sich bei ihrer sehenswerten Lesart an die Vorlage, meidet konsequent jegliche vordergründige Aktualisierungen und szenischen Aktionismus. Dennoch geht es flott auf der sparsam ausstaffierten Bühne zu, die von einem drehbaren Halbrundgehäuse – Higgins akribisch ausgestatteter Arbeitssalon beziehungsweise Projektionsfläche für Häuser und Plätze – beherrscht wird, was für schnelle Verwandlungen sorgt (Bühne: Katja Schröder). Die Kostüme von Sibylle Gädeke erzählen in ihrem zeitlos-historischen Zuschnitt viel von der sozialen Stellung ihrer Träger.

So sind die Klamotten von Blumenverkäuferin Eliza mit Wollrock und wärmender Jacke ganz auf deren Gewerbe abgestimmt. Zur Lady geformt und beim Diplomatenball oder dem Pferderennen in Ascot der feinen Gesellschaft vorgeführt, trägt sie natürlich elegante Haute Couture. Das eine wie das andere steht ihrer Protagonistin Franziska Melzer ganz vorzüglich, versteht sie es doch, mit den jeweiligen Umhüllungen viel von Elizas Befindlichkeiten und Seelenlagen zu erzählen. Wandlungsreich, glaubhaft und nachvollziehbar auch ihre phonetischen Fortschritte vom grässlichen Gossenjargon zur mühevoll angelernten sprachlichen Hochkultur, gipfelnd in dem berühmten Song „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“. Fabelhaft, wie Mimin Franziska Melzer mit ihrem strahlenden und sicher beherrschten Sopran sämtliche sängerischen Hürden mit Bravour meistert.

Die anderen Mitwirkenden stehen ihr im für das Genre erforderlichen und exzellent beherrschten Mix aus Sprechen und Spielen, Singen und Tanzen in nichts nach. Nicht Peter Pagel als Elizas Vater Alfred P. Doolittle, der mit knarzigem Bass hinreißend einen schlitzohrigen, versoffenen, stets um seinen Vorteil bedachten Müllkutscher singschauspielert. Nicht Jon-Kaare Koppe als Oberst Pickering, der mit viel psychologischem Gespür die Nöte Elizas zu mildern trachtet, die ihr der gefühlstrampelnde Professor Higgins zufügt. In Bernd Gelling findet er eine prächtige Reinkarnation: ein arrogantes Ekel à la Alfred Tetzlaff, uneinsichtig, bis zum Exzess auf ichbezogenem Psychoexperimentiertrip. Nicht weniger bühnenpräsent und gestaltungsintensiv Andrea Thelemann als Higgins’ Hausdame Mrs. Pearce: korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, mitunter auch streng, dennoch mit mitfühlendem Herz für Eliza als Higgins/Pickeringschem Wettgegenstand. Sabine Scholze als Higgins’ Mutter ist eine prächtige Psychologin für die Seelenqualen von Eliza. Wird sich diese für Freddy Eynsford-Hill alias Philipp Mauritz entscheiden, der sie liebt und ihr schmachtende Ständchen vorträgt, auch wenn er kaum singen kann, und meint, für sie der passende Frauenversteher zu sein. Als Kommentator des Geschehens im Higginsschen Haushalt, als Blumensortierer, Obsthändler und Müllmänner sorgen „Die Bogarts“ und ihre Freunde als spielagile, tanzfreudige (Choreographie: Marita Erxleben) und stimmperfekte chorische Unterstützung des Ganzen.

Nicht weniger passend die musikalische Begleitung durch ein siebenköpfiges Salonorchester mit Ludger Nowak als musikalischer Führungskraft am Klavier. In dieser originellen Besetzung soll sich musikalischer Swing, Schmiss und Schwung verbreiten? Und wie! Nachdem sich das Ohr an die ungewohnte Klangkulisse gewöhnt hat, bei der mancher Schmachtfetzen eine noch nie gehörte Schärfte und Prägnanz erhält, möchte man die „Lady“ nur noch so und nicht anders hören. Und so verbindet sich die Musik mit der Inszenierung zu einer runden, in sich stimmigen, flott ablaufenden und dialogpointierten Aufführung, der anhaltend rauschender Beifall zufällt. Es bedarf wohl keines Orakelspruchs, dass dieser Premiere eine lange Aufführungsserie folgen wird!

Wieder am 21. und 23. Januar und am 6., 7., 19. und 25. Februar

Peter Buske

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