zum Hauptinhalt

Kultur: Ein vehementes geistliches Drama

Balthasar-Neumann Chor und Orchester musizierten im Nikolaisaal Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion

Balthasar-Neumann Chor und Orchester musizierten im Nikolaisaal Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion Erstmals traten der Balthasar-Neumann-Chor und Ensemble im Nikolaisaal auf, die in Potsdam mehrere Tage zu Gast waren, um für einen Gastspielreise zu proben. Ihre Interpretation der Johannespassion von Johann Sebastian Bach rief Beifallsstürme hervor, allerdings aus einem nur gut zur Hälfte besetzten Saal. Die Aufführung bestätigte den herausragenden Ruf des Ensembles als Avantgarde der Alte-Musik-Szene, obwohl für den erkrankten Gründer Thomas Hengelbrock kurzfristig der rennommierte Londoner Dirigent Harry Christophers als Dirigent eingesprungen war. Christophers leitet in der britischen Hauptstadt mehrere anerkannte Alte-Musik-Ensembles. Auch auf europäischen Festival ist er immer wieder zu Gast. Die badischen Klangmeister spielten und sangen die erste Fassung der Johannespassion von 1725 musikalisch auf höchstem Niveau in einer stilsicheren und intelligenten Interpretation. Schon äußerlich fallen die Musiker mit sehr individueller Erscheinung auf. Ob solistische oder gemeinsame Darbietung stets wissen sie hochintensive Klangfarben zu erzeugen, die ihre Kraft aus dem dynamischen und ungemein homogenen Wechsel von Einzel- und Gruppeneinsätzen bezieht. Aus dem Sängerhalbrund treten die Solisten jeweils hervor, verbleiben jedoch hinter dem Orchester - ein Chor aus lauter Solisten, die immer wieder zu Höchstleistungen zusammenfinden. Unter den zweiundzwanzig Sängern befinden sich nur acht Sängerinnen für die Sopranstimmen. Die Altpartien werden chorisch und solistisch von Altus-Sängern bewältigt. Besonderes vokales Gewicht erhalten einzig die Partien des Evangelisten und die von Jesus, die vor dem Orchester gesungen wurden. Als stimmliche Wunderkerze erweist sich der Sänger des Evangelisten, James Taylor. Mit höchst subtiler Deklamation, klarer Artikulation und facettenreicher Intonation gibt Taylor der Rolle des biblischen Erzählers ein Höchstmaß von Würde und Ausdruck. Dem steht der Sänger des Christus, Marek Rzepka, kaum nach. Sein warmer, voluminöser Bass überträgt Jesu Leiden und Tod in eindrucksvolle Klangbilder. Aus der Fülle der großartigen Einzelleistungen seien nur einige Beispiele genannt. Luftig perlend singt Heike Heilmann die Partie der Magd „Ich folge dir mit freudigen Schritten“. Die berühmte Arie „Zerfließe mein Herz“ war Siri Thornhill anvertraut worden. Zur behutsamen Begleitung von Flöte. Oboe da Caccia und Fagott erklingt ihre bewegliche Stimme mit konzentrierter Klarheit. Gelegentlich setzen die Sänger opernhaft starke Akzente, so etwa in der mitreißenden Tenorarie „Zerschmettert mich“ oder im „Es ist vollbracht“, das vom sehr guten Altus Ales Potter gesungen wird. Das steht zwar sicher nicht im Sinne protestantisch-nüchterner Zurückhaltung, verdeutlicht aber die einflussreiche barocke Affektenlehre in der Musik und die Spielfreude des Ensembles. Mit seiner ausdrucksstarken Intensität verleiht es der Musik ungemein lebendige Impulse. Wie Altes in unerhört Neues verwandelt werden kann, führt nicht zuletzt der großartige Chor vor. Heftige Turba-Chöre vermitteln die geifernde Erregung des Volksmassen und der Soldaten mit grellen Akzenten. Überaus wandlungsfähig, präzis und präsent interpretiert der Chor Momente von Spott, Trauer, Inbrunst und siegesgewissem Triumph - ein vehementes geistliches Drama entsteht, das den biblischen Text aktualisiert. Doch der milde Anfangschoral – das „Oh, Mensch bewein dein Sünde“ aus der späteren Matthäus-Passion und der Schlusschoral „Christe, du Lamm Gottes“ geben der schaurigen Geschichte einen besinnlichen und persönlichen Nachklang. Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false