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Kultur: Eingesponnen wie in einen Kokon

Die weltberühmte japanische Violinvirtuosin Midori gab Konzert im Nikolaisaal

Die weltberühmte japanische Violinvirtuosin Midori gab Konzert im Nikolaisaal Von Babette Kaiserkern Die in aller Welt gefeierte japanische Violinvirtuosin Midori spielte am Pfingstsonnabend im fast ausverkauften Nikolaisaal Juwelen der Geigenliteratur, erhielt großen Beifall - und doch blieben einige Wünsche offen. War es Schüchternheit oder mangelndes Testen der Saalakustik, dass die eröffnende Violin-Sonate KV 454 von Wolfgang Amadeus Mozart so unausgewogen klang? Ohne Umschweife war Midori gemeinsam mit Robert McDonald, ihren langjährigen Klavierbegleiter, auf der Bühne erschienen. Wie ein Kopfsprung ins kühle Nass wirkte es, als Midori sich in die ersten Akkorde hineinwarf. Daraus tauchte sie nicht heftig sprudelnd wieder auf, sondern sie begann mit beinahe zaghaftem Plätschern zarte Kreise und Girlanden auf der glitzernden Oberfläche zu ziehen. Wassertropfen rieselten, feine Wellenlinien reflektierten Licht und Sonne, doch allzu oft wurden sie vom Tankerschiff des Pianos schlicht umgepflügt. Hatte das streckenweise Zelebrieren von rokokozarten Ornamenten Methode oder war dies nur eine Fingerübung für das Kommende? Was folgte, gehört zur spieltechnisch und ausdrucksmäßig höchsten Stufe des Geigenspiels. Die Solosonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003 von Johann Sebastian Bach scheint ebenso wie ihre Geschwistersonaten für Heutige unspielbar zu sein. Barocke Spieler konnten auf ihren Instrumenten die kontrapunktischen Strukturen bewältigen, während es auf modernen Violinen fast unmöglich erscheint. Doch Midori meisterte die vertrackte Polyphonie, die schier unglaublichen Doppelgriffe und Verzierungen bravourös. Mit kämpferischer Grazie kontrastierte sie im einleitenden Grave dramatisches Pathos mit Pianissimo, errichtete in der ausladenden Fuge eine himmelwärtstrebende Klangkathedrale, modellierte das Andante mit herbem Ernst und süßer Milde im Mittelteil, eilte durch das Finalallegro mit atemberaubender Technik. Perfekt in der Artikulation, mit ungewöhnlich temperierter Intonation und facettenreichen Phrasierungen. Im Vergleich dazu erschienen die „Tre pezzi“ von György Kurtag wie ein musikalisches Paradox, zumindest als Oxymoron. Denn traditionelle Klangvorstellungen kommen darin, wenn überhaupt, nur ex negativo vor. Und doch sind diese Miniaturstücke melancholische Kleinode, die eine magische Atmosphäre verströmen und wie Spuren in Urgestein von einer lang vergangenen Epoche künden – und von der Einsamkeit der Gegenwart. Im strengen Sinne ist die Sonate A-Dur von César Franck keine Sonate, vielmehr ein ausladendes Klangpoem über ein lyrisches Terzenthema. Midori kultivierte nuancenreiche Klanggirlanden voll elegischem Elan, in recht moderatem Tempo im ersten Satz. Ihre Kunst der zarten Ziselierung von Verzierungen und Figurationen ist berückend. Dem gegenüber steht gelegentlich ein gleißend breiter Strich, der fast bemüht wirkt. Doch nur so gelingt es, die wenig differenziert heranrollenden Klänge des Klaviers zu übertönen. Den dritten Satz führt Midori schnell zu einer Klangapotheose, etwas zu früh und zu heftig vielleicht, bis sich ein makelloses Zusammenspiel beider Partner ergibt. Midori bot Violinspiel auf höchstem Niveau – doch etwas schien an diesem Abend im Nikolaisaal zu fehlen. Midori zeigte zwar ein herzliches Lächeln, wirkte aber zugleich eingesponnen wie in einen Kokon. Als einzige Zugabe gab es ein Zwischenspiel Andante sostenuto aus dem Ballett „Raymonda“ von Alexander Glasunow. Ein terzenseliges Tanzstück in permanenten Doppelgriffen, das ursprünglich für zwei Klarinetten geschrieben wurde. Es klang süß, mit leicht verzerrter Intonation – das ferne Nachspiel eines ungewöhnlichen Konzertes.

Babette Kaiserkern

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