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Kultur: Farbig und wirkungsvoll, singend und klagend

Das Neue Kammerorchester Potsdam musizierte unter Ud Joffe im Nikolaisaal

„Musik ist eine Hure. Sie geht mit jedem Text“, sagte Ernst Bloch, der Philosoph und Verkünder des „Prinzip Hoffnung“. Gleichwohl verteidigte Bloch die Musik als Ort, wo Menschen Träume, Utopien und Erlösung erfahren können. Beim dritten Symphoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam zum Motto „Mensch Macht Musik“ wurde die Mehrdeutigkeit der Musik, ihre Verführungskraft und scheinbar unbegrenzte Dienstbarkeit, die schon Platon für den Staat nutzen wollte, besonders deutlich. Ud Joffe hatte wieder ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt, das neben hohen musikalischen Herausforderungen zum Nachdenken anregte.

Das Ende vom Lied nach zwei Weltkriegen und Nazi-Diktatur markiert Richard Strauss“ Sinfonische Dichtung „Metamorphosen“. Als das Werk 1946 uraufgeführt wurde, hatte sein Komponist eine ungebrochen erfolgreiche Laufbahn hinter sich. Seine „Metamorphosen“ für 23 Streicher reflektieren eindringlich den Untergang, doch welcher Untergang gemeint ist, bleibt offen. Wie stets entzieht sich die Musik jeder eindeutigen Aussage. Jeder Hörer kann sich etwas anderes dazu denken. Zu hören ist ein reichhaltig verschlungenes Tongemälde elegischer Streicherklänge, dominiert von ernsten, schmerzlich klingenden dunklen Tonlagen. Celli, Bratschen und Bässe dominieren, nur die Solovioline tritt gellend hervor. Ein hochfahrendes Relief tragischer Töne, das mit viel Hingabe musiziert wurde.

Fast idyllisch klingt das „Siegfried-Idyll“ von Richard Wagner, das dieser zur Geburt seines Sohnes aus Themen der gleichnamigen Oper für ein vergleichsweise kleines Ensemble montiert hat. Trotz relativ durchsichtiger Strukturen begegnet der Hörer immer wieder den berauschenden Wagner-Klängen. Die Neigung zum Schmachten, zu Selbstüberhebung in seligem Heldenleben und Tod scheint dieser Musik „eingeschrieben“ zu sein – und erklärt zumindest teilweise ihre Beliebtheit im Dritten Reich. Für dessen Ziele eignete sich die vergeistigte Musik eines Bach, die individuellen und intimen Klänge von Mozart, Schubert oder Mendelssohn nicht.

Wie Musik besonders dreist für eigene Ziele dienstbar gemacht wurde, zeigt die Sinfonische Dichtung „Les Préludes“ von Franz Liszt. Deren martialische Bläserfanfaren jagen noch heute manchem, der sie während des Zweiten Weltkrieges vor den Wehrmachtsberichten im Radio hörte, einen Schauer über den Rücken. Doch ist das nur ein Teil, der Rest kündet, singt, klingt, klagt farbig und wirkungsvoll von verschiedensten Dingen in buntem Wechsel von Rhythmus, Melodik und Harmonie. Liszt nannte es einen Gesang vom Leben auf den Tod hin – und sein Kunstwerk erwies sich dabei als prophetisch überlegen. Letztlich kündeten seine Fanfaren auch während des dritten Reichs und entgegen der offiziellen Propaganda vom Tod. Das Neue Kammerorchester spielte – besonders angesichts seiner immer noch überaus unsicheren materiellen Basis – ungemein beweglich, klangschön und eindringlich, reagierte rasch auf die Wechsel im Tempo und Takt und vollbrachte unter Ud Joffes fordernder Leitung prächtige Gemeinschafts- und großartige Sololeistungen.

Ein großes Lob gebührt der Solistin des Konzerts: Nadejda Tselouikina. Die kurzfristig eingesprungene Studentin der Hanns-Eisler-Hochschule, die schon viele Preise gewann, brillierte im vertrackten zweiten Klavierkonzert von Franz Liszt. Rasant, glasklar, virtuos, spielerisch und ausdrucksvoll bewältigte sie das teuflisch schwere Werk. Fast noch mehr verblüffte und begeisterte die Pianistin bei der Zugabe – eine Konzertparaphrase von Franz Liszt auf Verdis Oper „Ernani“ – mit ihren stupenden technischen und musikalischen Fähigkeiten auf dem Klavier. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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