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Kultur: Ferne nahe Welt

Von Amazonien inspiriert: Michael Arantes Müller in der Galerie Ruhnke

Wenn ein Künstler Müller heißt, benötigt er sprechende Vornamen. Das hat der 1953 in Berlin geborene Michael Arantes Müller begriffen und schmückt sich mit einer rätselhaften zweiten Anrede, die vielleicht ein Verweis auf die brasilianischen Mythen und Legenden sein mag, die in seinen Holzschnitten vielfach weitergeführt werden. In der Galerie Ruhnke ist M.A. Müller derzeit zu sehen. Man kann mit ihm tief eintauchen in eine uns fremde Welt, in der Flora, Fauna, Liebende und Fantasiegestalten, inspiriert von der Vorstellungswelt Amazoniens, immer neue Kombinationen eingehen – meist allerdings in den strengen Formen des europäischen Druckrahmens gehalten.

Drei Ölgemälde seiner Arbeit „Grün“, die aus hundert quadratmetergroßen Werken besteht, sind da zu sehen. Europäische Kommunen, darunter auch Potsdam, finanzieren mit dem Ankauf der Bilder ein Projekt zum Erhalt des tropischen Regenwaldes. Auf ineinander verschlungenen Pflanzen-, Tier- und Menschenmotiven prangen in lateinischen Lettern uns unverständliche, aber durchaus fantasieanregende Begriffe der indigenen Sprachen südamazonischer Völker. „Nekataxi“ oder „Massekiteixiri“ sind Worte, die gemeinsam mit den sie umschlingenden, überwuchernden Pflanzengebilden an eine vollständig andere Welt erinnern und uns unmissverständlich klarmachen, dass dieser letzte Regenerationsraum von Natur und Kultur durch den Menschen bedroht ist.

Müller, der an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte, reiste 1994 zum ersten Mal in den tropischen Regenwald Amazoniens, und diese Erfahrung hat ihn und seine Arbeit nachhaltig geprägt. Auch in den ausgestellten unikaten Farbholzschnitten variiert der Künstler diese Motive. Im strengen Rechteck-Format, das manchmal von Halbkreisen abgelöst wird, präsentiert er in naturnahen Farben braun, grün, blau und manchmal rot seine Kenntnis der Welt, über die der Kulturanthropologe Claude Lévi-Strauss in den „traurigen Tropen“ schrieb, sie sehe aus wie „eine Anhäufung erstarrter Blasen in einem Turm grüner Schwellungen“, die, wenn man in sie eindringe, als „monumentales Universum“ erscheine. Und tatsächlich ist es ein monumentales Universum, über das Müller schützend seine Künstlerhand legen möchte. Einige der Motive kommen immer wieder vor: Zum Beispiel das Paar, das sich offensichtlich gerade in sein Liebesspiel begibt – da tasten die Hände des einen, der von den stehenden Brüsten der anderen begrüßt wird und beide hocken in einer nichts anderes kennenden Einheit zusammen.

Man betrachtet sie nach einigen Blicken auf die Farbholzschnitte wie alte Bekannte und kann sich darüber wundern, wie leichthändig sie in immer neue Kontexte integriert werden. Einmal funkeln die Sterne über ihnen und sie sind von phallusartigen Symbolen umgeben, ein andermal sind es große, an afrikanische Holzarbeiten erinnernde Figuren, die ihre Intimität links und rechts wie Wächter schützen. Zwischen den Bildern hängen unverkäufliche Druckstöcke, die einen Hinweis auf die Entstehung der Werke geben und, von Müller beidseitig benutzt, als sein „Alphabet“ bezeichnet werden. In den Guss- und Eisenarbeiten zeigt Michael Arantes Müller eine andere Seite seines Schaffens: ganz leicht wippt die „Wolke“ am feinen Eisenstab, oder ein „Sägekopf“ wetzt hintergründig ironisch seine scharfen Zähnchen. Und dass es auch noch mal anders geht, beweisen seine Tuschezeichnungen: Da sprengt er plötzlich den strengen Formatrahmen, wischt leichthändig über das Blatt einen „Tusch“, der seine Bewegungen kaum noch im Zaume halten kann. Ebenso kindlich verspielt demonstriert das „Regenblatt“ eine Hingabe an die Form, die aus dem Pinsel tropft, dass von „traurigen Tropen“ keine Rede mehr sein kann. Die Ausstellung eröffnet durchaus ein Universum: das der Individualität des Künstlers. Lore Bardens

Zu sehen bis 4. Dezember, Do bis So, 14 bis 19 Uhr, Hegelallee 41.

Lore Bardens

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