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„Das Fest“ auf der Bühne des Hans Otto Theaters. Nach dem Originaldrehbuch „Festen“ von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov inszeniert von Intendantin Bettina Jahnke.

© Thomas M. Jauk

Film als Bühnenstück: „Das Fest“ in Potsdam ist Theater ohne Dogmatismus

Wer in der Inszenierung von Bettina Jahnke die Auseinandersetzung mit dem „Dogma“-Genre sucht, sucht umsonst. Der Wucht des Stoffes kann man sich jedoch nicht entziehen.

Was hat dieser Film für eine beeindruckende Bühnenkarriere hingelegt: Nur zwei Jahre, nachdem Thomas Vinterbergs erschütterndes Inzestdrama „Das Fest“ in die Kinos gekommen war, hatte die deutsche Bühnenfassung in Dresden Premiere. Es folgten rund 20 Neuinszenierungen, und immer noch treiben neue Blüten. Jetzt also Potsdam. Regie führt Intendantin Bettina Jahnke.

Vor dem Blick auf die Bühne lohnt sich ein Blick zurück auf den Wirbel, den Vinterbergs Film 1998 bei Publikum und Kritik verursachte. Als erster sogenannter Dogma-Film stellte er die Prinzipien des kommerziellen Filmemachens infrage und trat mit dem hehren Ziel an, Gegenwart und Realität zurück ins Kino zu holen. Was mit sehr konkreten Dogmen einherging: keine Spezialeffekte, keine Filmmusik, nur Originalschauplätze und Handkamera. Oberstes Gebot: Authentizität.

Kein inszenatorisches Wagnis

All das könnte für ein Theater interessant sein, das sich mit seiner eigenen Beschaffenheit, den eigenen Mitteln auseinandersetzen will. Wie könnte der Versuch, möglichst viel Blendwerk und Budenzauber wegzulassen, um zum Kern der Wirklichkeit vorzudringen, in der Übersetzung auf die Bühne aussehen? Wer das von diesem „Fest“ erwartet, wird in Potsdam enttäuscht werden. Auch wenn Jahnke zu Spielzeitbeginn gesagt hatte, man wolle in Sachen Regiehandschriften mehr wagen.

Ein Wagnis ist ihre Inszenierung nicht. Sie versucht nicht, Theaterbudenzauber zu vermeiden, sondern stürzt sich mitten hinein. Wer jedoch die Dogma-immanente Frage nach dem Wie runterschlucken und den inneren Hebel auf Verzauber- und Schauspielertheater umstellen kann, wer sich einlässt auf das Erzählte, kann sich der dunklen Wucht des Stoffes nicht entziehen. Ja, es gespenstelt und theatert ganz ordentlich. Aber: Es funktioniert, dieses Theater ohne Dogmatismus.

Zu Anfang regnet es Asche. Da steht Christian (Jan Hallmann) in der Bühnenmitte, in der Hand eine Urne: die Überreste seiner Zwillingsschwester Linda. Das Stück zeigt seine Sicht, die Sicht eines Traumatisierten. Kein Zufall, dass der Inhalt der Urne mitten auf dem plüschigen Teppichboden landet, worüber die Familie gleich tänzeln und tun wird, als gäbe es überhaupt nur Gründe zum Feiern: Papa Helge (Joachim Berger) wird 60. Ballons, Torte, Reden.

Und Christian ist angetreten, die tote Linda und ihr Geheimnis zurückzuholen unters Partyvolk. „Helge ist ein sehr reinlicher Mann“, wird er zur Festrede vor versammelter Menge sagen. Und: „Auf der grünen Liege vergewaltigte er uns.“ Und: „Vielen Dank für die vielen guten Jahre.“ Worte wie Donner, nüchtern vorgetragen. Ein Erdbeben müsste folgen. Es bleibt aus. Die Harmoniesucht der Familie erweist sich als unerschütterlich, vorerst. Stattdessen: Schweigen. Dann ein Toast des grenzdebilen Opas (Achim Wolff).

Inzest als Gruselkabinett?

Linda, die Tote, tritt hier anders als im Film selbst auf. Nadine Nollau spielt sie barfüßig und in leuchtend rotem Kostüm; die Lebenden tragen Trauerschwarz. Als melancholische Mahnerin schreitet sie zwischen den Familienmitgliedern auf und ab. Und sie singt sehr schön, live begleitet vom Quartett auf der Bühne. „April in Paris.“

Die Tote, ihr anklagend rotes Kostüm, die Triangel, die die Familienmitglieder wie Gespenster zur Geisterstunde aus der Erstarrung erlöst - einiges davon ist nah an der Überzeichnung. Inzest als Gruselkabinett? Der unbedingte Schauer, den die Regie erzeugen will, kommt dem eigentlich Schauerlichen manchmal ganz schön in die Quere. Einerseits.

Andererseits: Je länger man dieser Familie beim Schweigen zusieht, desto beklemmender wird es. Das ist zum einen den Musikern auf der Bühne zu verdanken, die momentweise immer wieder zur fußwippenden Feierstimmung verführen und so die Fallhöhe zwischen der Einsamkeit des Vergewaltigungsopfers und dem Frohsinn derer, die seine Nächsten sein sollen, spürbar macht.

Zum anderen aber funktioniert das, weil diese Grusel-Familie sich im genau richtigen Maß spielerisch ins Zeug wirft: Ihr bedrohliches Potenzial ist unter der aalglatten Oberfläche noch bedrohlicher. Allen voran das Elternpaar. Joachim Berger überzeugt als Patriarch Helge, der Täter, der noch angesichts der gröbsten Vorwürfe Haltung bewahrt, galant das Tanzbein schwingt und die Unverschämtheit, von Christian eine Entschuldigung zu fordern, mit einnehmender Märchenonkel-Stimme vorbringt.

Janine Kreß gibt seine Ehefrau Else als elegante Gastgeberin, eine unterkühlte Frau, deren Verrat am eigenen Kind einem Gänsehaut über den Rücken jagen muss. Rita Feldmeier hat einen Gastauftritt als störrisch blickende Großmutter, Schwester Helene (Laura Maria Hänsel) hält brav zu Papi und seinen Geldumschlägen, bis sich ihr der Magen umdreht. Ein Familienfest als düstere Messe, Erlösung nicht ausgeschlossen.

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